Johannes Walther: Sprache und Volksdichtung der Wenden. 337
1731 erschien für die Lausitz preußischen Anteils eine königliche Verordnung
Friedrich Wilhelms I., welche den Geistlichen streng verbot, wendische Braut-
paare zu kopulieren, ehe diese ein deutsches Sprachexamen bestanden hätten.
Aber trotz aller dieser und anderer offenen und heimlichen Kämpfe erhielt
sich das wendische Volk seine Sprache und Art bis heute.
Ich will zuerst mit wenig Strichen das Gebiet der wendischen Sprache
und die Zahl derer, die sie reden, feststellen.
Nach der außerordentlich fleißigen, genauen und zuverlässigen Statistik“)
von Dr. Mucke vom Jahre 1886 beträgt die Summe der Sorben in der
Ober= und Niederlausitz 166 000; auf die Oberlausitz entfallen hiervon in
Sachsen 56 300, in Preußen 37 300, während 72 400 Niederlausitzer sämtlich
Preußen angehören. Diese wendischen Bewohner verteilen sich in Sachsen
auf 33 wendische Kirchgemeinden mit 414 wendischen Ortschaften, während
man in Preußen 30 wendische Kirchgemeinden mit 164 Ortschaften ober-
lausitzer Seite und 42 Kirchgemeinden mit 198 Ortschaften in der Nieder-
lausitz zählt. Confessionell sind ca. 10 000 oberlausitzische Wenden katholischen
Bekenntnisses, alle übrigen, also über 150 000 evangelisch-lutherischen, bez.
evangelischen Bekenntnisses. Diesen Bevölkerungs= und Ortschafts-Ziffern
entsprechen räumlich in Sachsen 39 □-Meilen, in Preußen 155 □—Meilen,
wovon 30 □-Meilen zur Oberlausitz und 125 U□-Meilen zur Niederlausitz
gehören. Auf der Karte schließen heute folgende vier Linien das gesamte
sorbenwendische Sprachgebiet ein: nördlich von Guben nach Lübbenau, westlich
von Lübbenau nach Bischofswerda, südlich von Bischofswerda nach Löbau,
östlich von Löbau nach Guben. Von selbst erhellt, daß die Städte in diesem
Sprachgebiet zum großen oder größten Teil von deutscher Bevölkerung be-
wohnt werden, während die Landgemeinden rein wendisch oder mit geringen
deutschen Prozenten gemischt sind. (Vergl. das wendische Sprachgebiet auf
der diesem Werke beigegebenen Karte von Sachsen.)
Dies in gröbsten Zügen ein numerisches und räumliches äußeres Bild
des wendischen Sprachgebietes, dem wir gewissermaßen ein inneres Bild des
Lebens und Gebrauchs der wendischen Sprache an die Seite stellen können.
Sie findet keine Stätte, und dies selbverständlich, in den sächsischen und
preußischen Garnisonen, ebensowenig vor staatlichen und kirchlichen Behörden;
vor Gericht wird zuweilen ein der wendischen Sprache Kundiger als Dol-
metscher zugezogen; in der Volksschule in Preußen hat man es für gut be-
sunden, die wendische Sprache so viel wie möglich zu beschränken, ja zu
verbieten und ihren Gebrauch zu bestrafen; wahrlich nicht zum Nutzen der
ihr anvertrauten jüngeren Kinder, denen 2, 3, ja 4 Jahre verloren gehen,
*) Andere Zahlen ergiebt die Landesstatistik, nach ihr wurden 1890 nur 49 916
Wenden gezählt.
Wuttke, sächsische Volkskunde. 2. Aufl. 22