M. Rentsch: Volkssitte, Brauch und Aberglaube bei den Wenden. 369
halbe und ganze Trauer je nach dem Grade der Verwandtschaft mit dem
Verstorbenen. Bei halber Trauer wird die kleine plachta, ein feines weißes
Linnentuch, das den Oberkörper bedeckt, angewendet, bei ganzer Trauer er-
scheint die Trauernde vom Kopf bis zu den Füßen vollständig in weißem
Linnen eingehüllt, so daß nur Augen und Nase sichtbar sind. (Siehe die
Abb. in dem Kapitel Volkstrachten.) Man kann sich vorstellen, welchen
wunderbar feierlichen Eindruck es hervorruft, wenn hinter dem Sarge 10—20
solcher weißer Gestalten einherschreiten. In dieser Trauerkleidung geht man in
den nächsten Wochen nach dem Begräbnis in das Gotteshaus, wie überhaupt
die Trauerzeit auf das peinlichste beobachtet wird.
In diesen Darstellungen wendischer Sitten und Gebräuche sind wir
vielfach solchen begegnet, die hart an den Aberglauben streifen, ja schon in
das Gebiet desselben hineingehören. Man legt bei abergläubischen Hand-
lungen dem menschlichen Thun übermenschliche Kraft bei und nimmt an,
daß der Mensch der Natur gegenüber seinen Willen durchführen kann, daß
er durch Worte und Handlungen sich selbst bestimmen und sein Schicksal
beherrschen könne. So religibs der Wende gesinnt ist, so wenig es ihm in
den Sinn kommt, etwa den allheiligen und allwaltenden Gott in seiner Macht-
befugnis beschränken zu wollen, so sehr hängt er doch noch an Vorstellungen,
die an die Stelle der Freiheit des sittlich mit Gott verbundenen Menschen
den besonderen Eigenwillen desselben setzen. Außerdem hat man sich selbst
die Mächte geschaffen, von denen man sich unfrei und beängstigt fühlt, indem
man an übernatürliche Geister und Wesen glaubt, die in das Leben des
Einzelnen bestimmend eingreifen können. So ergeben sich 2 Arten des Aber-
glaubens: einmal sucht man durch bestimmte, oft geheimnisvolle Handlungen
den Eintritt gewünschter Lebensvorgänge herbeizuführen oder zu beschleunigen,
und dem Eintritt befürchteter Ereignisse vorzubeugen, andererseits steht man
unter dem Walten geheimer Naturmächte, mythologischer Wesen, denen
man durch Schlauheit ausweichen oder sie zum Dienste des Eigenwillens
zwingen kann.
Erblickt jemand den Neumond unverhofft über der linken Schulter, so
steht ihm ein ungünstiger Monat bevor, sieht er ihn ebenso unerwartet von
der rechten Seite, so wird er Glück haben, sieht man ihn vor sich, so wird
man viel essen. — Haare soll man nur bei zunehmendem Monde beschneiden
lassen, dann wachsen sie besser. — Hochzeiten sollen bei zunehmendem Monde
gefeiert werden, dann nimmt das Paar zu an Glück, an Geld und Gut. —
Scheint der Mond durch eine Scheunenritze, so soll man die Hand mit den
Warzen in den Schein halten, dann vergehen sie. — Auf den Blitz darf
man nicht mit dem Finger zeigen, sonst schlägt es ein. — Splitter von
Bäumen, die der Blitz getroffen, sind gegen Reißen und Gicht gut; doch darf
man nicht mit solchem Holz heizen, sonst brennt das Haus ab. — Wer
Wuttke, sächsische Volkskunde. 2. Aufl. 24