15. Die Daorftirche.
Von Cornelius Gurlitt.
En fast ganz Deutschland ist man jetzt am Werke, ein wissenschaft-
liches Verzeichnis der Kunstdenkmäler außzustellen. Dabei sind freilich die
Ansichten darüber, was Kunstdenkmal sei, noch keineswegs geklärt. Im
allgemeinen scheint mir vielfach in den bisher vorliegenden, zum Teil sehr
wertvollen Arbeiten ein Fehler vorzukommen, der nämlich, daß man den Be-
griff des Kunstwerkes zu hoch faßte oder richtiger, daß man der Erkenntnis des
Gemeingiltigen, vielfach Vorkommenden zu wenig Aufmerksamkeit zuwendete.
Wenn diese Verzeichnisse fertig sind, werden wir in die Lage kommen, die
deutsche Kunstgeschichte aus einem gewaltigen Quellenstoffe aufzubauen, zum
Beispiel die kirchliche Baukunst in alle Einzelheiten zu verfolgen bis auf eine
Art, nämlich auf die Dorfkirche; den Profanbau bis auf das gewöhnliche
städtische Wohnhaus, das Bauernhaus. Nur zu oft glauben die Bearbeiter,
das in ihrem Wirkungsgebiete hundert= und tausendfältig Vorkommende sei
allgemein bekannt, überall anzutreffen, versäumen daher, es zeichnerisch oder
genau beschreibend darzustellen, bis dann endlich sich herausstellt, daß es
auch in diesen Dingen örtliche und zeitliche Verschiedenheiten giebt und daß
diese für die eigentliche Bildungsgeschichte unseres Volkes die wichtigsten, die
entscheidenden sind.
So bei den Dorfkirchen. Mir will es nicht eine unbelohnte Mühe er-
scheinen, daß ich bei meinen Reisen zur Aufnahme des Stoffes für die
„Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des König-
reichs Sachsen"“) von jeder ältern Kirche einen Plan aufnehme, und daß ich
diese Pläne, wenngleich in kleinem Maßstabe, meinem Berichte bildlich beigebe.
Es ist dies das einzige Mittel, das dahin führen kann, für die Geschichte
des Kirchenbaues die eigentliche Unterlage zu schaffen, nämlich die Geschichte
der Dorfkirche, der landesüblichen kleinsten Anlage des Gotteshauses.
Meine genaueren Forschungen betreffen nur einen Teil Sachsens, näm-
lich die Leipziger, Wurzener und Grimmaer Gegend. Doch habe ich als
Mitglied der kgl. Kommission für Erhaltung der Kunstdenkmäler und durch
meine sonstigen Arbeiten und Reisen im Lande oft Gelegenheit gehabt,
*) Genanntem Werke sind mit Genehmigung des K. S. Ministeriums des Innern
die in diesem Aufsatze verwendeten Abbildungen entnommen; die jeder Figur beigedruckten
römischen und deutschen Ziffern verweisen auf die betr. Hefte und Seiten. (S. auch S. 403.)
Wuttke, sächsische Volkskund e. 2. Aufl. 25