Cornelius Gurlitt: Die Dorfkirche. 399
geschnitzten Säulen ruhen die Tragbalken, darüber eine Holzbrüstung. Der
Schmuck an den Konstruktionsteilen besteht nie in angesetzten Leisten, sondern ist
stets aus dem Vollholze herausgearbeitet (Fig. 164). Das ist der Unterschied
mit den späteren Arbeiten. Der Zimmermann, der nach zünftigen Regeln
nicht mit dem Leimtopfe arbeiten durfte, stellte die Empore her und überließ
nur die Brüstungsfelder und auch dieses nur ungern dem Tischler. Beiden
folgte der Maler. Die Emporen sind zumeist in Leimfarben auf weichem
Holze gestrichen. Diese Technik wird heute leider so gut wie gar nicht mehr
geübt. Die Farben sind lebhaft, oft bunt. Man liebte es, die Emporen mit
biblischen Darstellungen oder doch mit Sprüchen zu schmücken. Dasselbe
geschah mit den flachen Brettdecken des Langhauses, die zumeist durch auf-
genagelte Leisten in Felder geteilt wurden. Diese Malereien haben selten
höheren künstlerischen Wert, aber sie sind treuherzige Zeugen einer schlichten
Gläubigkeit und geben gerade in ihrem Alter der Kirche eine überaus
malerische Stimmung. Ich kann den Gemeinde-
vorständen der Kirchen, denen diese Malereien als
Prüfstein für den Wert des bei Erneuerungen
heranzuziehenden Architekten dringend empfehlen:
erklärt er sich dafür, daß sie entfernt werden
müßten, weil sie nicht schön genug seien, so ist
er wahrscheinlich ein Mann ohne Feingefühl, dem
man besser thut, eine Kirchenerneuerung nicht zu
übertragen. Gerade in dieser malerischen Wirkung
liegt auch das Bäuerische unserer Kirchen. Das hat
man leider schon zu früh erkannt. Der Rationa-
lismus, der den Bauern zu einem idealen Ge-
schmacke — nämlich zum rationalistischen — auf-
klären wollte, glaubte ihm die städtische Farblosig-
keit, das vornehme Weiß und Gold aufdrängen zu .«
sollen; die Romantik kam mit dem Gedanken, die an a * irche
Stoffe müßten „echt“ sein, Holz also in Holz- XX. 182.)
farbe gestrichen werden. Das ist etwa so klug, als wenn einer sich eine
Perrücke auf den Glatzkopf setzt, aber, um nicht zu lügen, eine solche ohne
Haare. Die Bauern aber hielten fest an ihrer Vorliebe für Farbe. Und
wir Städter haben meines Ermessens nicht den geringsten Grund ihnen diese
auszureden; im Gegenteil, hier ist ein sehr bemerkenswerter Ansatz eines
wirklichen Volksempfindens, den man sorgfältig pflegen sollte.
Bezeichnend für die Dorfkirche bleibt noch für das beginnende 17. Jahr-
hundert, bis an den großen Krieg heran, daß die städtischen Stile sich nicht
in voller Schärfe äußern. Nur zu oft begegnet man noch bis gegen 1670
heran Bauten, die in ihren Architekturformen der damals seit 150 Jahren