Full text: Sächsische Volkskunde.

408 O. Gruner: Haus und Hof im sächsischen Dorse. 
Im allgemeinen hat die Erforschung der ländlichen Bauweise in Sachsen 
ein ähnliches Ergebnis wie die des Dialektes. Längs der großen Verkehrs- 
straßen, zu Wasser sowohl wie zu Lande, haben sich die feineren Unterschiede 
verwischt und die charakteristischen Merkmale abgeschliffen, das Vorherrschen 
des sächsischen Elements, im Gegensatz zum fränkischen, ist aber, ähnlich dem 
Einflusse der Lutherschen Bibelsprache, immerhin noch zu erkennen. In den 
von den Völker= und Ereigniswellen weniger berührten Ecken des Landes 
hingegen, im Erzgebirge und in der Lausitz, haben sich mehr ausgesprochene 
Eigentümlichkeiten fränkischer bezw. slawischer Art erhalten. Auch der ge- 
ringere oder größere Wohlstand übt seinen Einfluß auf die sorgsame Er- 
haltung oder leichtherzige Erneuerung des Bestandes im Bauwesen. Nur 
schrittweise kann man die Wandlungen rückwärts verfolgen, bis man an den 
Punkten anlangt, wo vermutlich jene Kulturströme zusammenflossen, deren 
Produkt wir im Haus und Hof des sächsischen Dorfes nun vor uns sehen. 
Einen Gedanken darf man bei diesen Untersuchungen nicht aus dem Auge 
verlieren, wenn er auch unserem Nationalgefühl vielleicht unbequem sein 
mag: daß nämlich die Kultur des platten Landes in einem großen Teile 
Sachsens flawischen Ursprungs ist, daß für viele Dörfer damit nicht nur 
die Grundform der Anlage, nicht nur die Einteilung der Flur (in Ge- 
wanne), sondern auch die Größe der Hofraiten, die Stellung der Gebäude, 
vielfach wohl auch das Konstruktionsprinzip für Neubauten gegeben und fest- 
gelegt war. Die Neugründungen aber, die durch Kolonisten aus dem Süd- 
und Nordwesten erfolgten, gliederten sich dem slawischen Kulturlande nicht 
bloß seitlich an (wie z. B. im Erzgebirge), sondern gingen in östlicher Rich- 
tung sprung= und etappenweise vor, über ältere thüringer Niederlassungen 
hinwegsetzend, mitten zwischen alte, slawische Ortschaften hinein, häufig deren 
Namen mit der Vorsilbe „Deutsch"“ annehmend. War schon dadurch im 
großen ganzen die Veranlassung zu einem Durcheinanderwürfeln deutscher 
und slawischer Dorfformen gegeben, so kam weiter noch die Verschiedenheit 
der deutschen Stämme dazu, aus denen die Kolonisten hervorgegangen waren. 
Den Sachsen vom unteren Laufe der Elbe, den Flämen war ein anderer 
Plan für Haus und Hof geläufig, als den Thüringern; diese wieder bauten 
anders als es die Einwanderer aus der Oberpfalz gewohnt waren. Jeder 
Stamm hatte ja seine charakteristischen Eigentümlichkeiten beim Anlegen und 
Erbauen von Hof und Haus, von denen bisher zwar nur die auffälligsten 
beobachtet und bekannt wurden, die wir aber hoffentlich in ihrer ganzen 
Mannigfaltigkeit werden kennen lernen, wenn die darauf gerichteten For- 
schungen des Verbandes deutscher Architekten vollständig und gesichtet der 
Offentlichkeit zugänglich sein werden. Bis dahin müssen wir uns freilich 
mit den üblichen markantesten Kennzeichen behelfen, obgleich einige davon 
sich schon jetzt als unzulänglich oder trügerisch erweisen.
	        
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