O. Gruner: Haus und Hof im sächsischen Dorfe. 409
Die slawische Grundform.
Daß die slawische Behausung aus der Erd- oder Lehmhütte (und
nicht aus dem Blockhause) entstanden ist, kann so wenig in Abrede gestellt
werden wie die Thatsache, daß die Lehmhütte noch heute den slawischen
Bewohnern mancher Länder, z. B. Rumäniens, vielfach als Zuflucht dient.
Soll diese primitivste Wohnstätte ein Dach erhalten, dessen Traufenwasser
nicht an den Lehmwänden herunter rinnt, so müssen dessen Stützen mit dem
nötigen Abstand von den Wänden errichtet werden. Dadurch ergiebt sich die
Grundform, die uns hente noch für das Bauernhaus der Lausitz charakteristisch
zu sein scheint, obgleich sie sich nachweislich früher in allen von den Slawen
besiedelten Strichen des ganzen Königreichs Sachsen vorfand und die auch
von ihren Nachbesitzern bis in das vorige Jahrhundert ausgeführt worden
ist. Ich meine jene zumeist nur erdgeschoßhohen Gebäude, vor deren Um-
fassungen hölzerne Säulen stehen, die ganz unabhängig vom Gebäudekörper
die Dachschwellen und somit die ganze Dachkonstruktion tragen, durch Kopf-
bänder (oder „Bügen") in ihrer senkrechten Stellung gesichert. Diese ein-
fachen Eckbänder wurden später vielfach durch kunstvollere Verknotungen,
durch Spannriegel, ja durch ganze Korbbogen-Einsätze aus Holz ersetzt, viel-
leicht darf man darin die formale Ausbildung des flawischen Grundge-
dankens durch deutschen Einfluß erkennen.
Den ursprünglich eingegrabenen Säulen fehlt die gemeinschaftliche Grund-
schwelle, sie stehen auf einzelnen Quadern oder auf gemeinsamem Steinsockel.
Wir haben es somit hier mit wirklichen Freistützen, nicht mit ständerartigen
lberbleibseln eines Fachwerkes zu thun. Manchmal erweitert sich die Säulen-
stellung zu einer Art Vorhalle an der Langseite, häufig treffen wir wenigstens
einen Vorbau an der Hausthüre an, zu dem einige Stufen emporführen.
Der Ursprung von Halle und Vorbau mag wohl in eine Zeit zurückreichen,
da das ganze Gebäude nur einen einzigen Raum enthielt, dieser Vorbau
demnach gewissermaßen die nach außen verlegte Hausflur bildete. Ich habe
früher schon (Beiträge zur volkstümlichen Bauweise. Leipzig, Arthur Felix.
1893) es versucht, die Entstehung dieser Grundform aus dem nomadisierenden
Leben und Wirtschaftsbetriebe der ersten slawischen Einwanderer zu erklären.
Nach meiner Annahme wäre das von Säulen getragene Schutzdach mit dem
besonders umwandeten Wohngelaß darunter eine Art erweiterter Pferch ge-
wesen, der je nach Erfordernis da oder dort errichtet wurde, um für Mensch
und Vieh während der Winterzeit Obdach zu bieten. Weitere Erklärungen
ergeben sich dann ganz ungezwungen, z. B. daß es mit Rücksicht auf bequemes
Ein= und Austreiben zweckmäßig war, das Haus mit seiner Langseite parallel
zum getretenen Wege zu stellen, daß die Feuerstelle ihren Platz nicht im
Wohngelaß, sondern zwischen diesem und der Viehabteilung erhielt, um nach