Full text: Sächsische Volkskunde.

462 O. Gruner: Haus und Hof im saächsischen Dorse. 
zu entwerfen, wie ich es hier versuchte, der wird mehr wehmütige als er- 
hebende Eindrücke nach Hause bringen und die Versuchung liegt nahe, eine 
solche Schilderung, wie das Märchen, anzufangen mit: „Es war einmal“. 
Die Landwirtschaft ist, so paradox es klingen mag, eine zart organisierte 
Pflanze, die gegen fremde Einflüsse und neue Experimente überaus empfind- 
lich ist. Der Aberglaube, der einen Fremden nicht gern im Kuhstalle sieht, 
beruht unbewußt auf einer durchaus richtigen Empfindung. Zum Gedeihen 
des Ackerbaus und der Viehzucht gehört mehr als guter Boden, fruchtbares 
Wetter, gutes Rassenvieh; dazu gehört ein unermüdlicher Fleiß, eine pein- 
liche Ordnung, genauestes Haushalten, unverdrossene Genügsamkeit und 
endlich das, was die Gottesfurcht „den Segen von oben“ nennt. Diese 
Eigenschaften sind aber den meisten Landbewohnern durch die fortgesetzte 
Berührung mit den Bequemlichkeiten der größeren Stadt, mit dem leichten 
Gelderwerb der Industrie verleidet worden, und der Erfolg davon, daß man 
w . die „Segnungen der Kultur“ 
— „ auch aufs platte Land geleitet 
s « ««"’· - hat, ist ungefähr derselbe, wie 
wenn man einen Fichtenwald 
für Berieselung einrichtet. Zu 
solchen „Segnungen“ rechne ich 
* auch das gänzlich irregeleitete 
Bauwesen, das den Bauern 
durch Gesetz, Mode und Ge- 
SW°.. dankenlosigkeit ausgenötigt worden 
—— iist. Ich besitze selbst die Prü- 
Fig. 218. fungsarbeit eines Maurermeisters 
aus dem Jahre 1850, den Ent- 
wurf zu einem Bauerngute, bei dem Büreau sowie Gesellschaftszimmer 
programmgemäß gefordert wurden. Zunächst müßten Erwägungen der Zweck- 
mäßigkeit, dann aber auch solche künstlerischer Natur auf diesem Gebiete 
unbedingt zur Umkehr, zu Wiederbelebung volkstümlicher Bauweise 
führen. Architekten, die den rechten Ton zu treffen verstehen, würden sich 
finden; nach meinen Wahrnehmungen fehlt es vielmehr an einer richtigen 
Auffassung auf dem Lande, bei den Bauenden selbst. Freilich liegt in der 
immer wachsenden Flut der Sommerfrischler mit ihrem oft recht bedenk- 
lichen Vorbilde und ihren vermeintlichen Bedürfnissen und in dem vor- 
nehmen Naserümpfen über ländliche Zustände eine nicht zu unterschätzende 
Gefahr; andererseits tröstet mich aber die Beobachtung, daß der einfache 
Mann Bauernhäuser von der uns lieben Art (Fig. 218) als „altdeutsche"“ 
Gebäude bezeichnet, altdeutsch bedeutet aber in seinem Munde „bieder, ehren- 
haft, wahr". Niemand, am wenigsten der Bauer selbst, sollte deshalb gering- 
 
	        
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