J. V. Deichmüller: Sachsens vorgeschichtliche Zeit. 47
fühlbar. Der lebhafte Handel, welcher in den ersten Jahrhunderten n. Chr.
die Erzeugnisse der römischen und der durch Berührung derselben mit der
germanischen entstandenen provinzial-römischen Kultur über den größten Teil
von Deutschland in Menge verbreitete, scheint unsere Gegend nur gestreift zu
haben. Kaum findet man bei uns eine römische Münze oder in einem Gräber-
felde eine Urne (Fig. 100), eine eiserne Lanzenspitze (Fig. 103) oder eine Fibel
(Fig. 101—102), deren Formen auf römischen Ursprung zurückzuführen sind.
Gräberfelder mit provinzial-römischen Beigaben, wie sie in benachbarten
Ländern gefunden worden sind, kennt man bis jetzt aus Sachsen noch nicht.
Gegen die Mitte des ersten nachchristlichen Jahrtausends gehen nun in
unserer Heimat gewaltige Veränderungen vor. Dem alten germanischen
Wandertriebe folgend verlassen die mehr als ein
Jahrtausend in Mitteldeutschland angesessenen ger-
manischen Völker ihre Wohnsitze, in die nur noch
schwach besiedelten oder leer gewordenen Landstriche
wandern von Osten her über die Weichsel und Oder
Völker ein, welche anderen Stammes sind und eine
andere Kultur mit sich bringen. Die Völkerwande-
rung führt zu uns Stämme slawischer Natio-
nalität, mit welchen sich die noch übrig gebliebenen
spärlichen Reste der alteingeborenen germanischen
Bevölkerung verschmolzen.
Wenn man früher geglaubt hat, daß die neuen
Ankömmlinge Träger einer höheren Kultur gewesen
seien, so ist die Irrigkeit dieser Ansicht längst er- 4
wiesen worden. Roh sind die Erzeugnisse slawischer Fig 101-102. ig. 103.
Handfertigkeit, in ermüdender Einförmigkeit wieder-
holen sie sich an allen Orten, wo einst Slawen gewohnt haben; mangelhaft
sind ihre Gerätschaften, zu deren Herstellung meist Knochen, Hirschhorn oder
Holz gedient hat, selten findet man ein Gerät aus Eisen. Nur in der kera—
mischen Technik zeigt sich ein großer Fortschritt: die Anwendung der Dreh-
scheibe bei der Herstellung der Gefäße.
Die Hauptfundorte für flawische Altertümer sind Ansiedelungen und
Burgwälle. Die wenigen bisher in Sachsen aufgedeckten offenen Wohn-
plätze sind sämtlich Landansiedelungen, von denen die Herdgruben mit
Trümmern von Topfgeschirr uud Tierknochen erhalten sind.) Die darin ge-
fundenen Stücke von Wandbewurf aus Lehm bekunden, daß die Hütten der
Slawen in den ersten Jahrhunderten ihres Aufenthaltes in hiesiger Gegend
*) J. Deichmüller: Vorgeschichtliche Funde bei Nerchau-Trebsen in Sachsen.
Kassel 1892, S. 9, Taf. III—V.