Full text: Sächsische Volkskunde.

554 Cornelius Gurlitt: Die Zukunft der Volkstrachten. 
geschildert; hier kommen nur die späteren Zeiten in Betracht: Nach dem 
dreißigjährigen Kriege entstand eine Blüte des kirchlichen Bauwesens auf dem 
Lande, etwa zwischen 1680 und 1720. Der Niedergang des merkaniilistisch 
regierten Staates zu Ende des Lebens Augusts des Starken beschloß diese. 
Nach einer kurzen erneuten Blüte um 1760 folgt eine letzte zwischen 1790 
und 1810. 
Das sind die Zeiten, in denen im wesentlichen das städtische Bauwesen 
Einfluß auf das ländliche gewann. Es dürften zugleich die Zeiten länd- 
lichen Wohlstandes gewesen sein. Denn die Kirchenbauten bedingen einen 
solchen. Mit dem Wohlstande aber waren es auch die Zeiten des Fortschrittes 
in der Modebewegung des Landvolkes. Der Verfasser des vorhergehenden 
Aufsatzes giebt im Grunde dieselben Zeiten als solche an, an die unsere 
Bauerntrachten mahnen. Die altenburger Tracht hat im wesentlichen ihren 
Ursprung in dem Zeitabschnitte um 1760 und um 1810, die wendische 
greift teilweise auf den um 1720 zurück. Die sprachliche Sonderung hat 
die Wenden in ihrer Entwickelung langsamer fortschreiten machen. 
Die moderne Umgestaltung der ländlichen Tracht fällt wieder mit dem 
kirchlichen Bauwesen zusammen. Um 1850 beginnt dieses in bescheidenem 
Maße, erreicht in den 60er Jahren etwas mehr Umfang, wird aber seit der 
Mitte der 70er Jahre und namentlich seit etwa 1880 mit großer Lebhaftig- 
keit betrieben. Das sind auch ungefähr die Merkjahre für den Abfall von 
der alten Kleidung. Die 48er Bewegung, der 66er und 70er Krieg und 
die durch beide veranlaßte Verstärkung der Heeresmacht, das Hereinziehen 
von immer mehr Bauernsöhnen in die Stadt, der Bahnbau und das An- 
wachsen der Großstädte vernichteten mehr und mehr die ländliche Abgeschlossen- 
heit, zerstörten neben vielem Anderem auch das, was wir Volkstracht nennen. 
Sie heben aber auch den Wohlstand und das Selbstgefühl: der Bauer wagte 
wieder modisch zu werden! 
Die Zeit brachte auch mancherlei andere Gedanken und Anregungen. 
Unsere südlichen und östlichen Nachbarn, die Slawen, haben um die 
Mitte des Jahrhunderts aus den Volkstrachten sich eine Nationaltracht zu 
schaffen gesucht, die noch heute gelegentlich getragen wird, während ähnliche 
Versuche in Deutschland aus der Zeit der Freiheitskriege und später gänzlich 
scheiterten. Ich gönne jenen ihren Erfolg aus neidlosem Herzen. Wir, hier 
in Sachsen, dürften schwerlich ihrem Beispiele folgen. Denn erstens fühlen 
wir uns nur als Teil einer Nation, und zweitens scheint mir die Grundlage 
für eine diesem eigenen Tracht völlig zu fehlen: nämlich die Einheitlichkeit des 
Willens, des künstlerischen Zieles, die Einheit des Geschmackes. Im Gegen- 
teil: die Bestrebungen der Besten gehen auf Sonderung, auf Herausbildung 
des Individuellen. Kaum eine Zeit scheint ungünstiger, um aus freiem 
Entschluß eine allgemeine Tracht zu schaffen, als unsere.
	        
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