Full text: Sächsische Volkskunde.

556 Cornelius Gurlitt: Die Zukunft der Bolkstrachten. 
sich in dieser glücklich fühlen, mögen die draußen Stehenden, die Späteren 
oder die Fremden noch so sehr lachen! 
Die draußen Stehenden: Wir erleben stets, daß einige die Mode nicht 
mitmachen. Es können diese ihre gesonderte Stellung einnehmen, weil sie 
klüger, künstlerischer denken, oder vielleicht auch weil sie thörichter, unkünstle- 
rischer denken. Zweierlei Art sind sie: Zunächst die Alten. Als der Groß- 
vater die Großmutter nahm, sang Langbein, da hielt man nicht für schön 
in klassischer Nacktheit auf Straßen zu gehn. Das heißt: der Dichter sprach 
sich gegen die Mode von 1810 zu gunsten der Mode von 1770 aus. Er 
trug wahrscheinlich noch den Haarbeutel und den Galanteriedegen, seine Frau 
das gepuderte Haar und den Reifrock. Das heißt weiter: Langbein, später 
königlich preußischer Censor, war einer, der stehen blieb oder doch für gut 
hielt, daß stehen geblieben werde. Nach seinem Wunsch hätten wir noch 
heute das Kleid seiner Großeltern, wären wir also zu einer „Volkstracht"“ 
gekommen, wie die oben beschriebene. Wäre das wohl eine Vorteil gewesen? 
Es hieße doch, daß für anderthalb Jahrhunderte der Geschmacksthätigkeit die 
Kleidung hätte entzogen werden müssen. Es wäre beim Stillstand in der 
Kleidung allein nicht geblieben: die Hausausstattung hätte ebenfalls still 
stehen müssen. Welche Summe künstlerischer Arbeit, geistiger Anregung wäre 
dem Volke entzogen worden. Und mit ihr welche Summe edler Freude, 
wirklichen Genusses! Wie öde wäre die Welt, wenn wir uns verpflichtet 
glaubten, daß uns das Beste sei, das Alte zu wiederholen, wenn wir als 
Treue gegen uns und unser Volkstum das Festhalten am einmal Gefundenen 
ansehen wollten und nicht das Festhalten am Willen zum Finden, am Eifer 
zum Suchen, am Streben zum Neuen! 
Freilich die Raschheit des Wandels erschreckt uns. Die Geschmacks- 
entwicklung geht heute einen anderen Schritt als früher. Das hat seinen 
Grund im geringeren Umfang der geistigen Mirwirkung des Trägers an der 
Gestaltung seines Gewandes. Ein Industriestaat, wie Sachsen einer wurde, 
wird stets eine in dieser Beziehung rasch fortschreitende Bevölkerung haben. 
Es ist kein Zufall, daß Sachsen arm an Volkstracht ist und Altbayern reich. 
Eine Volkskunst entsteht dort, wo das Volk in seiner Masse die häus- 
liche Kunst erzeugt. Ich spreche zunächst von den einfachsten Erzeugnissen: 
Sie hat im Gewebe, in der Stickerei und Flechterei, im Hausbau und der 
Schnitzerei, in der Waffenschmiederei dort ihren Boden, wo der Handel un- 
entwickelt ist, die Erzeugung der Waren ganz oder doch zumeist Sache der 
Haushaltung oder doch der Gemeinde, eines örtlich eng begrenzten Gebietes 
ist. Die schönen Stickereien in Kreuzstich und die Freude am Erfinden neuer, 
stilistisch aber aus den alten sich entwickelnder Muster, entstehen dort, wo 
man noch spinnt, zwirnt und webt, wo die eigentliche gewerbliche Handfertigkeit 
zu erlangen das Ziel des geistig Regsamen ist. Er muß ja vielerlei Fertig-
	        
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