58 Ludwig Schmidt: Die germanischen Bewohner Sachsens vor der Slawenzeit.
da man daran festhalten zu müssen glaubte, daß diese von Tacitus im
Riesengebirge oder wenigstens im Böhmerwald (Moldau) gedacht sei, während
sonst von Sitzen der Hermunduren in Schlesien oder Böhmen nichts bekannt
ist. Auch hat man gemeint, den taciteischen Ursprung der Elbe mit ihrem
Austritt aus dem böhnmischen Kessel identifizieren zu sollen. Die beste
Lösung der Schwierigkeiten hat meines Erachtens A. Kirchhoff') gegeben, der
annimmt, daß Tacitus und seine Zeitgenossen die Quelle der thüringischen
Saale irrtümlich für die der Elbe gehalten haben. Die richtige Kenntnis
des Ursprungs der Elbe findet sich mit Sicherheit erst bei Dio Cassius
(Ende des zweiten Jahrhunderts). Das Land der Hermunduren erstreckte
sich sonach am Ende des ersten nachchristlichen Jahrhunderts von der Donau
bis mindestens ans Fichtelgebirge; ihre früheren Sitze im Königreich Sachsen
und Thüringen scheinen sie größtenteils geräumt zu haben. Daß letzteres
der Fall, zeigt deutlich eine Angabe des wenig späteren Geographen Ptole-
mäus (bez. dessen Quelle), Geogr. II. 11, 23, der einen Volksnamen Teu-
riochaimai im westlichen Sachsen und Thüringen verzeichnet. Teuriochaimai
ist gebildet wie das ptolemäische Bainochaimai und wie dieses als Landes-
name zu fassen, als „Durenheim“ d. h. als ehemalige Heimat der Duren,
wie Bojohaim das ehemalige Land der Bojer ist.““') Der Name Thüringer
aber ist erst von dem Landesnamen abgeleitet worden; mit den Hermunduren
hat er direkt nichts zu thun. Er erscheint in den Quellen erst im fünften
Jahrhundert; die Bildung des neuen Stammes wird ungefähr in das vierte
zu setzen sein. Wohl um die Mitte des dritten Säculums erfolgte die Aus-
wanderung der Semnonen (die sodann unter dem Namen Juthungen mit
den Hermunduren zwischen Main und Donau den Bund der Alamannen
bildeten) aus ihren oben bezeichneten Sitzen; noch um 177 werden sie dort
erwähnt, da damals die Quaden zu ihnen sich flüchten wollten, um dem
römischen Joch sich zu entziehen, während sie im Jahre 270 an der oberen
Donau auftauchen. Der Zug der Semnonen ist daher aller Wahrscheinlich-
keit nach in südwestlicher Richtung durch das westliche Sachsen und das
Vogtland über den Frankenwald gegangen, also ungefähr auf demselben
Wege, den die mittelalterliche Straße von Leipzig nach Nürnberg verfolgte)
und den, wie wir sahen, schon früher die Markomannen bei ihrer Trennung
von den Hermunduren eingeschlagen hatten. Der gleichen Richtung folgten
wenig später die Burgundionen, welche vorher nordöstlich von den Semnonen
gesessen hatten und 278 mit silingischen Wandalen und Lugiern aus
*) Thüringen doch Hermundurenland (Leipzig 1882) S. 15 ff.
*) Agl. G. Holz, Beiträge zur deutschen Altertumskunde Heft 1 (Halle 1894) S. 38,
42 ff., 76.
)vüber diese von der Natur vorgeschriebene Völkerstraße ogl. Kutzen, das deutsche
Land, 2. Aufl. I. 357 fg.