Ed. O. Schulze: Verlauf und Formen der Besiedelung des Landes. 63
familie an. Sie zerfielen in zwei größere VBölkerschaften rechts der Elbe:
die Luzisanen und die Miléanen, etwa in der heutigen Nieder= bezw. Ober-
Lausitz, und in eine große Anzahl kleinerer Stämme links der Elbe. Von
letzteren werden die Daleminzier oder Glomacen (Lommatzschl), die Kolodicier
(in der Gegend der Fuhne-Niederung) und die Siusler (an der unteren
Mulde) bereits im 9. Jahrhundert genannt. Als ungefähre Grenzen des
gesamten Sorbenlandes dürfen wir im Osten den Bober, im Westen die
Saale, im Süden die Lausitzer Berge und das Erzgebirge, im Norden etwa
die See= und Sumpfniederungen der Spree und Havel betrachten.
In zahlreichen kleinen Siedelungen hatten die Sorben zunächst die
weiten Ebenen und das Hügelland vor dem Gebirge besetzt; später erst und
allmählich schoben sie sich in die Vorberge und in die engeren Flußthäler
hinauf. Den dichten Urwald des Gebirges mieden sie ebenso, wie schwer-
bündigen, nassen Sumpf= und Kleiboden, den sie mit ihrem leichten hölzernen
Hakenpflug nicht zu bearbeiten vermochten. Wo sie in solchen Gegenden sich
fanden, bildete nicht der Ackerbau, sondern Viehzucht, Fischkang und Jagd
die Grundlage ihrer Existenz. Das höhere Gebirge hlieb bis in das 12.
und 13., in den höchsten Lagen bis in das 15. Jahrhundert hinein und
länger eine menschenleere Wildnis. Einzelne Weiler mochten hier und da
existieren, an Straßenzügen oder von Flüchtlingen gegründet; für den eigent-
lichen Anbau kommen sie nicht in Betracht.
Man glaubt vielfach noch heute, aus der Verbreitung slawischer
Ortsnamen mit Sicherheit auf die Ausdehnung des altsorbischen Anbaues
schließen zu können. Das trifft indes in sehr vielen Fällen nicht zu. Die-
slawische Benennung im allgemeinen ist gar kein Beweis dafür, daß wir es
mit einem ursprünglich von Sorben angelegten und bewohnten Ort zu
thun haben.
Die leidige Vorliebe der Deutschen für alles Fremdländische war an-
scheinend schon den Kolonisten des 12. und 13. Jahrhunderts eigen. Nicht
nur behielten sie den wendischen Namen bei für Ortschaften, aus denen die
sorbischen Bewohner vor ihnen wichen, sondern auch von ihnen selbst be-
gründeten neuen Siedelungen gaben sie oft genug der fremden Sprache ent-
lehnte Benennung.-) Ahrlich etwa, wie in neuerer Zeit die Kolonisten in
*) Die von Heinrich I. 928 an der Elbe angelegte Feste erhielt den slawischen
Namen Misni, Meißen. Dasselbe geschah bei nicht wenigen Städten deutscher Anlage
und bei verschiedenen Klöstern. Kloster Bosau z. B. nannte sich nach dem Berge, an
dem es lag. Viele Dörfer deutscher Gründung wurden wenigstens durch die Endung
flawisiert; so Albertitz, Berntitz, Piskowitz, Ramvoltitz oder Rampitz, Kumschütz (von Kunz,
Konrad) u. s. w. — Conradesdorf, um 1190 von einem deutschen Ritter angelegt, erscheint
1206 schon als Conradiz. — Die deutschen Rittergeschlechter nahmen bekanntlich fast
durchweg den Namen der Sorbenorte an, in denen sie saßen, seitdem (mit dem aus-
gehenden 12. Jahrhundert etwa) Familiennamen üblich wurden.