Full text: Sächsische Volkskunde.

70 Ed. O. Schulze: Verlauf und Formen der Besiedelung des Landes. 
kraft eines peise — 10 Hühnern, oder Weizen für 1 Mann auf 1 Monat, 
oder Gerste für 1 Pferd auf 40 Tage. 
Immerhin blieb, wie erwähnt, der Handel im Sorbenlande relativ un- 
entwickelt, und ist mit dem der nördlich an der Ostsee und südlich in den 
Donaugebieten wohnenden Slawen nicht zu vergleichen. Ein kaufkräftiger 
Markt im Lande konnte sich bei so ausgesprochener Haus= und Natural- 
wirtschaft nicht wohl bilden, und die den Sorben westlich benachbarten 
deutschen Gebiete standen bis zum 10. Jahrh. ebenfalls auf nicht allzu hoher 
Kulturstufe. Auch von dieser Seite her kam also keine Entwicklung neuer 
Bedürfnisse, keine Anregung zu wirtschaftlichen und allgemeinen Kultur- 
fortschritten, wie solche die Deutschen nach ihrer Seßhaftmachung überreichlich 
von den Römern empfangen hatten, und wie sie andern slawischen Völker- 
schaften im Süden und Osten aus dem byzantinischen und dem arabisch- 
persischen Kulturkreise zuflossen. 
Die politische Verfassung der Sorben war demokratisch-patriarchal, 
mit weitgehender Selbständigkeit der kleinen Gemeinwesen und der Einzelnen. 
Die große Masse des Volkes war frei; der Einzelne rechtlich, sozial und 
wirtschaftlich gesichert in seiner Sippe. Die zahlreichen kleinen Stämme, 
deren jeder seine besondere größere Veste oder umwehrten Zufluchtsort hatte, 
waren nur lose mit einander verbunden. Häuptlinge, Alteste und selb- 
ständige Freie berieten gemeinsam. Erst allmählich, besonders durch die 
Kriege mit den Deutschen emporgehoben und anfänglich von den Karolingern 
begünstigt, traten Oberhäuptlinge an die Spitze größerer Verbände. Aber 
zu dem Anrecht auf die Würde, das die Abkunft verlieh, mußte sich die 
Wahl gesellen, und verschiedentlich wird uns von der Absetzung untüchtiger 
und unbeliebter Fürsten erzählt. Es war offenbar in dieser Zeit bei dem 
losen Gefüge der kleinen Gemeinwesen und dem Mangel starker nationaler 
und religiöser Impulse zu einer durchgreifenden und dauernden Scheidung 
in eine herrschende und beherrschte Klasse, zu politisch-sozialer Gliederung 
und zu wirtschaftlicher Arbeitsteilung über den Rahmen der Hauswirtschaft 
hinaus, noch nicht gekommen. 
Nur die Anfänge dazu waren gegeben. Die Familien, aus denen 
traditionell die Häuptlinge genommen wurden, traten schließlich einflußreich 
und führend aus der Menge der übrigen hervor. Größerer Anteil an der 
Kriegsbeute; Kriegsgefangene, Flüchtige und Bedrängte aller Art, die ihren 
Schutz suchten, vergrößerten ihre Macht und schufen eine zu Dienst ver- 
pflichtete Klientel. Sie boten die Möglichkeit, nicht nur die Herden, sondern 
vor allem durch Rodung in der herrenlosen Wildnis, der „obeina“, auch den 
Grundbesitz zu mehren und ausgedehntes Sondereigentum zu begründen. Bei 
den Czechen und Polen führte diese Entwicklung in individualistischer Richtung 
mit notwendiger Konsequenz zur Ausscheidung eines abgeschlossenen Geschlechts-
	        
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