74 Ed. O. Schulze: Verlauf und Formen der Besiedelung des Landes.
sache von Thüringen aus erobert. Aus Thüringen und Franken kamen die
führenden Herren= und Rittergeschlechter.
Gewiß hat seit Heinrich I. der Krieg gerade in diesen Gegenden nur
selten geruht; aber als Marken wurden sie anscheinend doch erst um 950,
nach endgiltiger Niederwerfung des Czechenherzogs, eingerichtet.
Auch die Ober= und Niederlausitz wurden noch im Laufe des 10. Jahr-
hunderts — letztere durch einen Zug Gero's im Jahre 963 — erobert und
dem Reiche angefügt, beide allerdings nicht auf die Dauer.“)
Kann nun auch nach alledem meiner Ansicht nach Heinrich I. nicht als
Eroberer des Sorbenlandes gelten, so wurden doch zwei Einrichtungen, die
er traf, von so weittragender und grundlegender Bedeutung für die Er-
oberung und für den territorialen und staatlichen Aufbau des Landes, daß
sie eingehender behandelt werden müssen. Es waren dies 1. die Bildung
eines stets schlagfertigen Reiterheeres aus Vasallen und unfreien Dienst-
mannen, 2. die Burgwardverfassung.
Das alte Volksheer aller waffenfähigen Freien war schon seit Karl d. Gr. in
rettungslosen Verfall geraten. Seine Unbrauchbarkeit trat besonders deut-
lich hervor in der Zeit der Ungernkriege. Heinrich verzichtete darauf, das
absterbende Institut der Vorzeit aufrecht zu erhalten, den andersartigen
Lebens= und Wirtschaftssormen zum Trotz. Auf den ausgedehnten Besitz-
ungen seines Hauses und den weiten Kronländereien, die im östlichen
Thüringen und Sachsen von den Höhen des Thüringer Waldes bis hinab
zur Altmark sich dehnten, siedelte er neben Edlen und Freien eine große
Zahl von Leuten unfreien Standes an. Diese milites agrarii", wie
Widukind sie nennt, bildeten fortan den Hauptbestandteil seines (Reiter-)
Heeres. Zu steter Kriegsbereitschaft und Folge verpflichtet erhielten sie außer
einigen Hufen Landes, die sie in eigener Wirtschaft bestellten, neben der ge-
legentlichen Beute auch noch eine Art Sold aus den Tributen der ab-
hängigen Wendenstämme.
Bei fortschreitender Eroberung wurde diese Einrichtung (sie erinnert an
die österreichische Militärgrenze) auf die neu gewonnenen Marken übertragen.
Kühne Waffenthaten wurden mit Besitz, Eigen oder Lehen, im Wendenlande
belohnt. Kampfesfreudigen Männern, jüngeren Söhnen, denen die alte
Heimat zu eng geworden war, bot sich hier die Gelegenheit, Ruhm zugleich
und Besitz zu erwerben, auf eigenem Grund und Boden Herrenrechte zu üben
und ein neues Geschlecht zu begründen. Die Kolonisation unserer Gebiete
bis zum Ende des 11. Jahrhunderts ist im wesentlichen eine Ansiedelung
freier und unfreier Krieger, edler und dienstmännischer Rittergeschlechter.
*) Vergl. Meine Kolonisierung S. 77.