80 Ed. O. Schulze: Verlauf und Formen der Besiedelung des Landes.
Wir haben es also in dieser ersten Periode nur mit einer ländlichen
Bevölkerung zu thun. Die deutschen Elemente in dieser niederen acker-
bauenden Schicht waren verschwindend gering. Der deutsche Bauer
blieb noch lange den Marken fern, soweit er nicht etwa jenen „milites agrari#-
sich zugesellte und auf geliehenem Herrengute ein neues ritterliches Geschlecht
begründete. Abgesehen vielleicht von der Grenzbevölkerung, hatte er lange
schon kriegerischem Sinn und Leben entsagt und sich der Waffen entwöhnt.
Da konnte es ihn nicht locken, in diese kampfdurchtobten Gegenden zu ziehen,
unter ein fremdes Volk, das noch lange dem Deutschtum wie dem Christen-
glauben zähen Widerstand entgegensetzte. Bis in die ersten Jahrzehnte des
11. Jahrhunderts konnte es zweifelhaft scheinen, ob Deutsche, ob Polen die
Oberhand behalten würden; und dann setzten nach kurzer Ruhe die traurigen
Kriege und Fehden unter Heinrich IV. und V. ein, die gerade die nord-
östlichen Gegenden des Reiches mit verheerender Wucht trafen.
Dazu kam, daß bis zum 12. Jahrhundert die Dinge im Reich nicht so
sich gestaltet hatten, daß ein Abfluß überschüssiger Elemente in ferne Kolonial-
länder sich nötig gemacht hätte. Noch bot die Heimat genügenden Raum
auch für die jüngeren Söhne, und der Anbau und Ausbau im Reiche selbst,
die Rodung der weiten Wälder, die ÜUbernahme der Ländereien der zer-
fallenden Fronhöfe, absorbierten die Kräfte der bäuerlichen Bevölkerung.
Auch unfreie deutsche Hörige (Liten) werden nur vereinzelt erwähnt.
Sie hatten teils als Flüchtige Aufnahme gefunden, teils waren sie von den
Herren aus der alten Heimat herüber gezogen. Besonders der Kirche und
den Klöstern mußte der Gedanke ja nahe liegen, überflüssige Arbeitskräfte
auf den Besitzungen im Reich zur Einrichtung und besseren Bewirtschaftung
der neu erworbenen Güter im Slawenlande zu verwenden. Diese wenigen
deutschen Bestandteile kamen aber kaum in Betracht gegenüber der Masse der
unterworfenen Sorben.
Die Sorben waren, wie schon erwähnt ist, durch die Eroberung durch-
weg unfrei geworden. Diese Unfreiheit zeigt aber gewisse Abstufungen. Als
eine bevorzugte Klasse erscheinen schon gegen Ausgang des 10. Jahrhunderts
die Wethenici, wendische Krieger des Markgrafen, mit kleinen Lehen aus-
gestattet und in ihrer Stellung den deutschen Dienstmannen genähert. Seit
dem 12. Jahrhundert werden dann häufig Supane und Withasen als sor-
bische Unfreie höheren Standes erwähnt. Die Supane waren Vorsteher
wendischer Dorfkomplexe (Supanien), die mit Gerichten und Abgaben noch
dem Landesherrn zustanden, nicht als privater Grundbesitz den unmittel-
baren Zusammenhang mit der öffentlichen Gewalt verloren hatten.“) Sie
*) Diese „Supanien“ finden sich noch in Zins= und Steuerregistern des 16. Jahr-
hunderts. Nach einem Sieuerverzeichnis des Amtes Meißen aus dem 14. Jahrhundert
standen damals 210 Dörfer unmittelbar unter dem Amt; 60 davon unter Withasen, die
andern — zu Supanien vereinigt — unter Supanen.