84 Ed. O. Schulze: Verlauf und Formen der Besiedelung des Landes.
sollen noch 1030 über 100 Ortschaften niedergebrannt und gegen 10 000 Ge-
fangene fortgeführt sein.
Denn ein Hauptzweck der Kriegszüge besonders des klugen Boleslaus
Chrobry war es, Bauern zu gewinnen für die weiten Einöden seines spär-
lich bevölkerten Reichs. Wendische Stammesverwandte mochten ihm dazu be-
sonders geeignet erscheinen; und vielleicht waren auch sie nicht allzu abge-
neigt, ihm zu folgen.
Nach dem Zusammenbruch der polnischen Macht um 1031 folgten dann
die verheerenden Kriege unter Heinrich IV. und V. Viermal durchzogen
böhmische Heere unter wilden Greueln das Land, während zugleich die Grafen
und Herren in erbitterten Fehden sich bekämpften. Es ist wohl anzunehmen,
daß unter solchen Umständen mit der Zahl der Bevölkerung auch die Kultur
zurückging.
So wurde durch die Verwüstung des Landes, durch die Abnahme der
Einwohner und durch die mehrfach erfahrene Unzuverlässigkeit der Sorben
der Boden vorbereitet für die deutsche Kolonisation des folgenden Jahr-
hunderts.
Das Resultat der Entwicklung in der ersten Periode der deutschen
Herrschaft bis zum ausgehenden 11. Jahrhundert ist also: Eine feindselig
gesinnte, halb und ganz heidnische, unfreie sorbische Landbevölkerung, aus
der sich nach oben hin die Supane und Withasen, nach unten die Smurden
abhoben. Uber ihnen als herrschende Klasse zahlreiche deutsche Herren, Edle
und Ministerialen, die in den Burgorten und in den festen Höfen ihrer
Dörfer über das ganze Land hin verteilt waren, und die teils von dem
Ertrage der eigenen Wirtschaften, teils von den Abgaben ihrer sorbischen
Hörigen lebten.
Keine Germanisierung, keine Durchdringung und Durchtränkung des
Landes mit deutschem Wesen und Leben. Ein Zustand also, ähnlich dem, in
dem die deutsch -russischen Ostseeprovinzen mit ihrem deutschen Herrenstand
und der unterworfenen lettisch-esthnischen Bauernbevölkerung zu ihrem Unglück
allezeit stecken geblieben sind.
Ein Gegenstück anderer Art bietet das südliche Polen. Hier erblühte in
fast allen größeren Städten durch deutsche Einwanderung und Einführung
deutscher Stadtverfassung deutsches Wesen und Leben. Aber Adel und Land-
bewohner blieben polnisch, und ihnen mußte schließlich das deutsche Bürger-
tum erliegen. — Die Nationalität des platten Landes ist eben stets ent-
scheidend; von ihr wird über kurz oder lang auch die der Städte bestimmt.
Weder Adel allein noch Bürger allein haben je ein Land germanisiert. Die
) Bereinzelte Nachrichten deuten darauf hin, daß auch sonst Sorben bei verwandten
Völkerschaften im Osten Zuflucht suchten.