Ed. O. Schulze: Verlauf und Formen der Besiedelung des Landes. 85
Basis war und ist noch heute der Bauernstand; aus ihm und auf ihm allein
konnte ein kräftiges nationales Bürgertum erwachsen. Auch bei uns ent-
wickelten sich die Städte — abgesehen vielleicht von den Bergbaudistrikten —
erst mit und nach dem Einzug der deutschen Bauern. Erst die lberschüsse
aufblühenden Ackerbaus, die steigende Kaufkraft der ländlichen Bevölkerung
konnten, wie erwähnt, die Ausscheidung gewerblicher Berufe und die Bildung
einer vorwiegend von Gewerbe und Handel lebenden städtischen Bevölkerung
ermöglichen.) Auch die Germanisierung Sachsens beruht, wie die der Branden-
burgischen Gebiete, vornehmlich auf dem Bauernstande. Die Einwanderung
und Niederlassung der deutschen Bauern bildet den Inhalt der zweiten
Periode der Kolonisation.
II. Die Germanisierung des Landes.
Bis zum Schluß des 11. Jahrhunderts erfahren wir nichts von einer
freien deutschen Landbevölkerung bäuerlicher Art in unserem Gebiet. Weit-
hin bedeckten Wald, Sumpf und Heide das Land. Eingebettet in die weite
Wildnis lagen gleich Oasen und Inseln die einzelnen Siedelungen und
größere kultivierte Distrikte mit ihren Fruchtäckern und Viehweiden. In
schmalen Streifen zog der Anbau in den breiteren Flußthälern bergaufwärts.
Der dunkle Tann des höheren Gebirges ragte noch unberührt von der Agxt
und dem Feuer des Siedlers, und nur vereinzelt mochten hier und da flüchtige
Sorben Zuflucht und dürftige Freiheit in ihm gefunden haben. Abgesehen
vielleicht von dem Besitz der Kirche war der Anbau im wesentlichen in den
Grenzen geblieben, die er zur Sorbenzeit hatte.
Anders seit den ersten Jahrzehnten des 12. Jahrhunderts. Seit dieser
Zeit beginnt die Einwanderung deutscher Bauern und damit das Roden der
unabsehbaren Wälder und die Begründung deutschen Wesens und Lebens.
Die Umwandlung des unterworfenen Sorbenlandes in ein deutsches Land
ist das Ergebniß dieser zweiten Periode der Kolonisation, die etwa das 12.
und 13. Jahrhundert umfaßt.
Dreifacher Art waren die Beweggründe, die zur Heranziehung deutscher
Kolonisten veranlaßten: politische, wirtschaftliche und religiöse. Das Interesse
der Fürsten und der kleineren Herren drängte auf Stärkung der deutschen
Elemente, auf Ansiedelung zuverlässiger und kriegstüchtiger Männer, auf
Vermehrung der spärlichen Bevölkerung überhaupt.
Die Kirche mußte wünschen, inmitten des fremden Volkes, das insgeheim
und offen noch immer den alten Götzen anhing, sich stützen zu können auf
eine deutsche Bevölkerung, die den christlichen Glauben ohne Wanken bekannte
und der Kirche in Ehrfurcht und Treue ergeben war.
*) Die Bergbau-Städte und die Umschlags= und Stapelplätze an der Elbe gehören
ebenfalls der nächsten Periode an.