Full text: Sächsische Volkskunde.

86 Ed. O. Schulze: Verlauf und Formen der Besiedelung des Landes. 
Gewichtiger aber als diese beiden wirkten wirtschaftliche Motive. Wirt- 
schaftlichen Aufschwung, durchgreifenden Anbau des Landes, nachhaltige 
finanzielle Leistungskraft konnten die Fürsten und Herren nur von deutschen 
Bauern (und Bürgern) erwarten. Dasselbe gilt für die Kirche, die mit Un- 
willen die geringe fixierte Zehntleistung der Sorben ertrug und nach dem 
vollen Ertragszehnt der deutschen Bauern verlangte. Diese erzielten mit 
ihrem schweren eisenbeschlagenen Räderpfluge (s. o. S. 67) und mit der beim 
Ausbau daheim erworbenen Erfahrung im Roden und in der Anlage von 
Neukulturen ganz andere Ernten, als der schwache Hakenpflug der Wenden. 
Von ihnen waren deshalb ganz andere Zehnten, Zinse und Gülten zu erhoffen. 
Begünstigt wurde die Einwanderung durch die politische Lage. Das 
energische Eingreifen Lothars schuf hier im Osten und speziell für unsere 
Gegenden so geordnete und befriedete Zustände, wie man sie seit mehr denn 
100 Jahren entbehrt hatte, und der große Wettiner Konrad wußte die Gunst 
der Zeit mit weitem Blick und klugem Sinn zu nützen. Polens Macht war 
zersplittert; Böhmen hatte sich in Treue dem Reich angeschlossen, und die 
polabischen Stämme zwischen Elbe und Ostsee sanken zu Boden unter den 
vernichtenden Schlägen Heinrichs d. L. und seiner Holsteiner Grafen und 
des großen Askaniers Albrecht. 
Dazu kam der frische Aufschwung, der in jenem lebensvollen 12. Jahr- 
hundert im ganzen Reiche sich zeigte. Überall regte es sich von neuen 
Kräften, die in ungeahnter Fülle in Stadt und Land, bei Rittern, Bürgern 
und Bauern sich entfalteten. Zumal für die Bauern bedeuten das 12. und 
13. Jahrhundert eine Periode wirtschaftlicher Blüte und selbstbewußter 
Lebensführung, wie sie seitdem ihnen nicht wieder beschieden gewesen ist. 
Unter dem Schutz ihres Hofrechts und durch die Fixierung der Abgaben, 
welche die ganze enorme Steigerung der Grundrente ihnen zuwies, hatten sie 
lange schon zu vollbehäbiger, selbst reichlicher Existenz auf gering belasteter 
Hufe sich emporgeschwungen. Um die Mitte des 12. Jahrhunderts fielen auch 
die Fesseln, die sie noch an die Scholle, an den Willen des Herren, knüpften. 
Hatten sie vorher widerrechtlich und heimlich sich oft der Abhängigkeit ent- 
zogen, die bei der Gunst der äußeren Lage nur um so drückender empfunden 
wurde, so wurde ihnen jetzt freier Zug gewährt, und sie mochten mit Weib 
und Kind und Gut ungehindert ihr Glück im fernen Osten suchen. 
Dazu kam die bedeutende Zunahme der Bevölkerung bei fast vollendetem 
Ausbau der bis dahin noch zur Verfügung stehenden Waldgebiete. Gerade 
aber, weil die Mehrzahl noch in behaglicher Fülle auf verhältnismäßig reichlich 
bemessener Hufe lebte, war man am wenigsten geneigt, durch Teilung sich 
beengen und einschränken zu lassen.“) 
  
  
) Über Bedrückung als Ursache der Auswanderung vgl. meine Kolonisierung S. 125.
	        
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