80 BGB. Baufluchtliniengesetz.
An der Straße selbst haben die angrenzenden Hausbesitzer ein
grunddienstbarkeitsähnliches Recht, bedingt und begrenzt durch die Zweck-
bestimmung der Straße (RGer. 37, 252; 67, 87), wonach sich ihr
Entschädigungsanspruch wegen Veränderung der Straße regelt (wegen
der Mieter s. RGer. 36, 272; 56, 101; s. Pr VBl. 24, 213 u. 828).
Ferner ist hervorzuheben, daß jeder Hauseigentümer den Bürgersteig,
soweit er das Pflaster zu unterhalten hat, und sofern er die Straße
nicht verengt, verunreinigt oder verunstaltet (§ 78 ALR. I1, 8), worüber
die Polizei zu entscheiden hat, nutzen kann (§ 81 ebda.). Aus § 81
läßt sich übrigens nicht eine allgemeine gesetzliche Pflicht der Haus-
eigentümer zur Herstellung und Unterhaltung des Bürgersteiges herleiten.
Diese der Gemeinde obliegende Pflicht kann nur durch Observanz (lang-
dauernde Ubung mit dem Bewußtsein der Rechtsnotwendigkeit) 1) oder
durch Ortsstatut festgestellt werden. Polizeiverordnungen genügen hierzu
nicht (KGer. 24, C. 41). Daß der Bürgersteig zur Straße zu rechnen,
ist ausdrücklich bestimmt in dem hier einzuschaltenden
Gesetz 2. 7. 75 betr. die Anlegung und Veränderung von Straßen
und Plätzen in Städten und ländlichen Ortschaften. (GS. 561).
Dieses Gesetz verfolgt den Zweck, den Gemeidebehörden die
ihnen naturgemäß zustehenden Selbstverwaltungsbefugnisse auch
hier zu sichern, das Verfahren zu regeln und die angren-
zenden Eigentümer, welche in manchen Fällen bisheriges Ackerland
in wertvolle Baustellen verwandelt bekommen, in billiger Weise zu den
Kosten der Straßenanlegung heranzuziehen. Demgemäß zer-
fällt es in 3 Teile.
1. Zuständigkeit der Behörden bei der Beschlußfassung über den Plan.
Der Gemeindevorstand setzt im Einverständnisse mit der Gemeinde bzw.
deren Vertretung die Straßen= und Baufluchtlinien unter Zu-
stimmung der Ortspolizeibehörde fest. Die Ortspolizeibehörde?) kann die
Festsetzung von Fluchtlinien verlangen, wenn die von ihr wahrzunehmenden
polizeilichen Rücksichten (s. § 3) die Festsetzung „fordern“ (d. h. notwendig,
nicht bloß für den Verkehr usw. wünschenswert erscheinen lassen). Zu
einer Straße im Sinne dieses Gesetzes gehört der Straßendamm
und der Bürgersteig. Die Straßenfluchtlinien bilden in der Negel
zugleich die Baufluchtlinien, d. h. die Grenzen, über welche hinaus (in
die Straße hinein) die Bebauung ausgeschlossen ist. Aus besonderen
Gründen (um Vorgärten herzustellen) kann aber eine von der Straßen-
fluchtlinie verschiedene, jedoch in der Regel höchstens 8 Meter von dieser
zurückreichende Baufluchtlinie festgesetzt werden (§ 1). Die Festsetzung der
Fluchtlinien kann für einzelne Straßen und Straßenteile oder auch durch
Aufstellung von umfassenderen Bebauungsplänen erfolgen. Handelt es sich
um die Wiedererbauung ganzer, zerstörter Ortsteile, so muß die Gemeinde
schleunigst einen neuen Bebauungsplan (sog. Retablissementsplan) fest-
stellen (§ 2). Bei Festsetzung der Fluchtlinien ist auf Förderung des Ver-
1) So in Berlin durch die Brunnen= und Gassenordnung 14. 8. 1660 (C. C. M. Bd. V, 314;
O#G. 6, 212).
2) In Berlin der Magistrat als örtliche Straßenbauverwaltung auf Grund der K.O. 28. 12. 75
und der Polizeipräsident als Verkehrs-, Feuer= und Gesundheitspolizeibehörde (Abt. X).