426 Gerichtswesen (Zivilprozeß).
Mehrheit ergibt. Bilden sich in einer Strafsache, von der Schuldfrage
abgesehen, mehr als zwei Meinungen, deren keine die Mehrheit für sich hat,
so werden die dem Beschuldigten nachteiligsten Stimmen den zunächst
minder nachteiligen solange hinzugerechnet, bis sich eine Mehrheit ergibt
(§ 198). Die Reihenfolge bei der Abstimmung richtet sich nach dem
Dienstalter, bei den Schöffengerichten und den Kammern für Handelssachen
nach dem Lebensalter; der Jüngste stimmt zuerst, der Vorsitzende zuletzt.
Wenn ein Berichterstatter ernannt ist, so gibt dieser zuerst seine Stimme
ab. Bei der Abstimmung der Geschworenen richtet sich die Reihenfolge
nach der Auslosung. Der Obmann stimmt zuletzt (§ 199). Die Stimmen-
abgabe darf nicht verweigert werden (§ 197); über den Hergang ist
Stillschweigen zu beobachten (§ 200). Für die Angelegenheiten, welche
zu der ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit nicht gehören, gelten dieselben
Regeln (RG. über freiw. Gerichtsbarkeit 17. 5. 98, § 8, AusfG § 90).
17. Titel. Gerichtsferien. Sie dauern vom 15. Juli bis
15. September (§ 201). Während der Ferien werden nur in Ferien-
sachen Termine abgehalten und Entscheidungen erlassen. Feriensachen
sind: Strafsachen, Arrestsachen, und die eine einstweilige Verfügung be-
treffenden Sachen, Meß= und Marktsachen, die S. 417 unter 2 a u. b be-
zeichneten Streitigkeiten, solche aus Arbeits= und Dienstverhältnis, vor
den Gewerbe= und Kaufmannsgerichten sowie aus außerehelichem Beischlaf,
Wechselsachen und Bausachen, wenn über Fortsetzung eines angefangenen
Baues gestritten wird; s. auch noch RG. 6. 4. 92 (Röl. 469), §§ 12,
13, Streitigkeiten wegen Störung elektrischer Anlagen und § 28 RG.
11. 3. 08 (Röhl. 71, Regreßansprüche aus Schecks). In dem Ver-
fahren vor den Amtsgerichten hat das Gericht auf Antrag auch andere
Sachen als Feriensachen zu bezeichnen. In dem Verfahren vor den
Landgerichten und den höheren Instanzen soll das Gericht auf Antrag
auch Sachen, welche besonderer Beschleunigung bedürfen, als Feriensachen
bezeichnen (§ 202). Zur Erledigung der Feriensachen können bei den
Landgerichten Ferienkammern, bei den Oberlandesgerichten und dem
Reichsgerichte Feriensenate gebildet werden (§ 203). Auf das Kosten-
festsetzungs-, Mahn-, das Zwangsvollstreckungs= und das Konkursverfahren
sind die Ferien ohne Einfluß (§ 204). Ebenso auf die Angelegenheiten
der nichtstreitigen Gerichtsbarkeit; Reichs G. über freiw. Gerichtsbarkeit 17. 5.
98, § 10, AusfG. § 91, doch kann, soweit das Bedürfnis einer Beschleunigung
nicht vorliegt, in gewissem Umfange hier eine Einschränkung eintreten.
Zivilprozeß.
Das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten wird
geregelt durch die
Zivilprozeßordnung 30. 1. 77(RGBl. 83) in der Fassung von 98 (Rl. 410),
mehrfach geändert, zuletzt 1. 6. 09 (RGBl. 475) und 22. 5. 10 (RGl. 767).
Wegen der internationalen Abkommen vgl. Einleitung S. VI.
Das erste Buch gibt die allgemeinen Bestimmungen, z. B.
über Zuständigkeit, über die Parteifähigkeit (§ 50 f.; sie besitzt jedes
Rechtssubjekt; ein nicht rechtsfähiger Verein kann verklagt werden) und
Prozeßfähigkeit (welche mit der Fähigkeit, sich durch Verträge zu ver-