Full text: Die Deutsche Reichsverfassung.

Die Organisation der Reichs-Staatsgewalt. 101 
planmäßige, auf Aufteilung der herrenlosen Ländergebiete der 
Erde gerichtete Streben der Kulturmächte der neueren Geit an. 
Das Deutsche Reich ist verhältnismäßig sehr spät, erst seit dem 
Jah#re 1884, in den Wettbewerb der Mationen um Sicherung 
fremder Absatzgebiete und um Gewinnung auswärtiger Stütz- 
punkte eingetreten, hat es aber gleichwohl in kurzer Seit ver- 
standen, sich einen ansehnlichen Kolonialbesitz zu verschaffen. 
Daß das Reich als Staat zum Erwerbe von Kolonien befähigt 
ist, kanm keinem Sweifel unterliegen. Der gegenwärtige Ko- 
lonialbestand des Reiches umfaßt folgende Gebiete: 1. Deutsch- 
Ostafrika, 2. Kamerun, 5. Togo, 4. Deutsch--Südwest- 
afrika, 5. Deutsch Teuguinea, 6. Das Inselgebiet der Ka- 
rolonien, Halau-, Marianen und Marschall., (Brown- und 
Drovidence-)Inseln, 7. Samoa (5.—7. in der Südsee), 8. Kianut# 
schou (in Afien). Alle diese Länder führen in der Amts- und 
Gesetzessprache den Mamen „Schutzgebiete“. 
2. Ihr Erwerb vollzog sich nach völkerrechtlichen Grund- 
sätzen im Wege der Okkupation oder des Staatsvertrages. Su- 
ständig zu jedem derartigen Erwerb ist nach den Vorschriften 
der Reichsverfassung der Kaiser. Die meisten Kolonien sind im 
Wege der Okkupation an das Zeich gelangt. Auf Grund 
völkerrechtlichen Vertrages wurden Teile von Cstafrika (vom 
Sultan von Sanzibar), die Karolinen, Halau und Marianen 
(von Spanien) sowie Kiautschou (von China) erworben; bei 
Kiautschou wurde die Abtretung an das Reick nicht offen aus- 
gesprochen, sondern in die Form der Pacht — für 99 Jahre 
— gekleidet. Sur Sicherung, Feststellung und Erschließung des 
neuen Besitzes schloß das Reich eine dreifache Art von Derträgen 
ab: mit anderen Staaten, mit Eingeborenenkuptlingen und 
mit deutschen HandelsunterneLmungen. Die Derträge mit fremden 
Staaten bezweckten eine provisorische Abgrenzung des zunächst 
noch unerschlossenen und noch unbekannten „Binterlandes“ der 
Kolonie mittels Absteckung der sogenannten Interessensphären; 
dabei verpflichteten sich die Vertragsmächte, gegenseitig der Be- 
gründung der vollen Herrschaft in diesen Gebieten kein HKindernis 
in den eg zu legen. Die Derträge mit den Stammeshäupt= 
lingen sind völkerrechtlich bedeutungslos, weil diese keine Staaten 
im Rechtssinne vertreten; sie waren lediglich dazu bestimmt, den 
Eingeborenen die Annektierung ihres Landes weniger fühlbar 
zu machen und so die Okkupation zu erleichtern; ihr Inhalt
	        
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