Full text: Die Deutsche Reichsverfassung.

Die GOrganisation der Reichs-Staatsgewalt. 109 
richtung von Missionen der bezeichneten Religionsgemeinschaften 
unterliegen keinerlei gesetzlicher Zeschränkung. 
10. Während die Gerichtsbarkeit über die Eingeborenen 
— diese unterliegen der deutschen Justiz überhaupt nur, soweit 
dies durch Kaiserliche Derordnung bestimmt ist — meist noch 
von den Derwaltungsbehörden wahrgenommen wird, ist für die 
weiße Bevölkerung der Kolonien der moderne Grundsatz der 
Trennung von Justiz und Derwaltung schon viel strenger durch- 
geführt worden. Im allgemeinen finden auf die Gerichts- 
organisation die Vorschriften des Konsulargerichtsbarkeitsgesetzes 
entsprechende Anwendung (SchGG. § 2). Gerichtsbehörden 
erster Instanz sind der Zezirksrichter (in Kiautschou: Kaiser- 
licher Richter) und das Bezirksgericht, letzteres aus dem 
Richter und zwei (in schweren Strafsachen vier) Beisitzern be- 
stelend. Die zweite Instanz bildet das Gbergericht; eine 
dritte koloniale Instanz fehlt. Suständig sind diese Gerichte in 
Givilsachen in ähnlicher Weise wie die heimischen Amts- und 
Landgerichte; in Strafsachen erledigt der Bezirksrichter die 
schöffengerichtlickhen Sachen ohne Suziehung von (sonst zwei) 
Beisitzern, bei Strafkammer- und Schwurgerichtssachen sind vier 
Beisitzer zuzuzieben. Die Mitwirkung einer Staatsanwaltschaft 
findet bei Derbrechen und Dergehen statt. Rechtsanwälte werden 
vom Richter zugelassen, Motare (deren Suständigkeit auf die Ze- 
urkundung von Rechtsgeschäften unter Lebenden beschränkt ist) 
vom Reichskanzler ernannt. — Für das Derfak#ren sind die 
Normen des deutschen, eventuell des preußischen Rechts maß- 
gebend. Die Todesstrafe ist durch Enthaupten, Erschießen oder 
Erhängen zu vollstrecken. Der Gouverneur bestimmt, welche 
Art im einzelnen Falle stattzufinden Kat. Das Begnadigungs- 
recht übt der Kaiser aus, der Gouvperneur ist befugt, im Gnaden- 
weg einen Strafaufschub bis zu sechs Monaten zu bewilligen. 
— Hinsichtlich des materiellen Rechtes ist zu betonen, daß die 
Kolonien mit dem MWutterlande kein einbeitliches Rechtsgebiet 
bilden, daß das deutsche Recht in ihnen also nur dann gilt, 
wenn dies ausdrücklich angeordnet worden ist. In den Kolonien 
ist nunmehr das gesamte preußisch-deutsche bürgerliche Recht nach 
Maßgabe des Konsulargerichtsbarkeitsgesetzes eingeführt worden; 
für Bandelssachen geht jedoch das in der Kolonie geltende 
Bandelsgewohnheitsrecht vor. Die Beurkundung des Hersonen= 
standes und die Form der Ebheschließung richten sich nach dem
	        
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