Die Vorgeschichte des Reiches. 9
Einzelmensch, so der Staat. Staatengebilde, die nur durch die
Waffen geschaffen sind, sind flüchtige Erscheinungen der Welt-
geschichte, wie einst Mapoleons Weltreich; Hreußen mußte
Deutschland erst innerlich erobern, durch geistige und wirtschaft-
liche Kraft, ebe es den deutschen Widerspruch gegen die staat-
liche Erneuerung Deutschlands durch die Waffen brechen durfte
mit der Aussicht auf dauernden Bestand dieser staatlichen Teu-
schöpfung. Alle Erfolge Hreußens waren — so konnte unser
großer Kaiser in seiner ersten deutschen Thronrede das Ergebnis
der Weltgeschichte in lapidarer Kürze zusammenfassen — Stufen
zu deutscher Macht und Größe. So konnte keiner sprechen
ans dem Hause Habsburg.
Diese Entwickelung beginnt mit dem Großen Kurfürsten.
Man müßte nach meiner Ansicht die deutsche Geschichte seit
Aufrichtung des alten Reiches — und nicht nur die politische,
sondern insbesondere auch die Staats= und Rechtsgeschichte —
in drei große Abschnitte teilen: den ersten, da das alte Reich
noch ein Staat war, wenigstens zu sein versuchte, er reicht bis
zum Untergang der Hohenstaufen; den zweiten, da das alte Reich
in einem unaufhaltsamen Auflösungsprozeß begriffen war, vom
Interregnum bis zum Westfälischen Frieden bezw. äußerlich zum
Jahre 1806; den dritten, die Erneuerung Deutschlands durch
Brandenburg-Hreußen seit dem Großen Kurfürsten bis zum
Jahre 1866.
Die zweite Periode schließt grundsätzlich mit dem West-
fälischen Frieden, tatsächlich allerdings erst mit dem Jahre 1806.
Die Seit von 1648— 1806 ist ein langer qualvoller Todes-
kampf, der in seinen Einzelheiten keine große Zedeutung hat
und unser Interesse nur sehr mäßig beschäftigt; in Wahrheit:
eine „Rumpelkammer"“, wie der bedeutendste Staatsrechts-
schriftsteller der Meuzeit, Laband, das Staatsrecht dieser letzten
Deriode des alten Reiches genannt hat. Historisch und rechts-
Bhistorisch sollte diese Seit, was das Reich betrifft, so kurz als
möglich erledigt werden, da sie nur Ausläufer eines Hrozesses ist,
der universalhistorisch schon im Jahre 1648 abgeschlossen war.
Andrerseits beginnt die dritte Heriode deutscher Geschichte
mit dem Großen Kurfürsten. Die Bobenzollernzeit von 1415
bis 1ô640 in Brandenburg ist auch nur Hartikulargeschichte,
zum Teil auch nur von mäßigem Interesse. Seit dem und durch
den Großen Kurfürsten aber wird die brandenburgische Hohen-