Das Reich kein Bund, sondern ein Staat. 39
Schärfe von Calhoun vertreten, andrerseits von einer Reihe hoch-
bedeutender Schriftsteller grundsätzlich bekämpft worden.
Die Wirkung der Abhandlung des jungen banperischen
Juristen war eine sehr bedeutende, und sie ist nicht wieder ver-
loren gegangen; alle bedeutenderen Schriftsteller stimmten ilhm
im Kernpunkte bei, und wenn auch der Gedanke der geteilten
Souveränität in anderer Formulierung bei einigen Schriftstellern
wieder zum Dorschein kam, so darf doch im ganzen heute dieser
Gedanke als Grundlage des Bundesstaatsbegriffes für wissen-
schaftlich beseitigt gelten.
§ 16. Die Sedvdelsche Theorie.
Wenn aber Sedvdel so weit gehbt, zu behaupten, daß da-
mit der Zundesstaatsbegriff überhaupt wissenschaftlich beseitigt
sei, so schießt er mit dieser Bebuptung weit über das Siel
Kinaus, und die Theorie ist ihm darin nicht gefolgt. Indem
Sevydel den von Waitz aufgestellten Bundesstaatsbegriff als
wissenschaftlich unhaltbar erwies, sei, so meinte er, erwiesen,
daß es nur Staatenbund und Sinbeitsstaat gebe; da aber das
Reich, was natürlich niemand bestritt, kein Sinbeitsstaat sei,
könne es nur ein Staatenbund sein.
Eine nähere Hrüfung wird ergeben, daß diese Schluß.
folgerung Sevdels unzutreffend ist.
Unter die oben als Communis opinio gegebene Kategorie
des Staatenbundes fällt das Deutsche RZeich jedenfalls nicht.
Und es mag hier zugleich bemerkt werden, daß, was vom
Deutschen Reiche in dieser Beziehung zu sagen ist, ganz in
gleicher Weise von der schweizerischen Eidgenossenschaft und der
nordamerikanischen Union gilt.
Nach der herrschenden Theorie gibt es im Staatenbund
keine Gesetzgebung, sondern nur Beschlußfassung, die als Grund-
lage für die einzelstaatliche Gesetzgebung dient; das die Staats-
angehörigen verbindende und verpflichtende Recht und Gesetz
aber wird nur hervorgebracht vom Einzelstaat kraft der ihm
zustehenden Souveränität. In unserem Reiche aber gibt es
Gesetzgebung. Die gesetzgebenden Faktoren sind nach Artikel 5
der Reichsverfassung Zundesrat und Reichstag; kraft überein-
stimmenden Mehrheitsbeschlusses dieser beiden verfassungsmäßigen