Das Reich kein Bund, sondern ein Staat. 45
letzte und absolut entscheidende Antwort auf die Frage nach der
rechtlichen Natur des Reiches: das Reich ist der souveräne
Staat, dem die Bundesglieder ein- und untergeordnet
sind, formellrechtlich ebenso wie die Territorien im
alten Reiche. Ganz zutreffend bezeichnet Bänel diese staats-
rechtliche Gestaltung als einen „Rückbildungsprozeß“", der sich
nach einem 60jährigen Intermezzo vollzogen habe für die deut-
schen Einzelstaaten zu derjenigen Stellung, die grundsätzlich die
Einzelstaaten im alten Reiche inne hatten, so elend und schwach
diese Dinge auch in den letzten Jahrh#underten des alten Reiches
tatsächlich geworden waren.
Der Zechtsgrundsatz von der Kompetenz= Kompetenz des
Reiches ist sachlich völlig uneingeschränkt; es gibt keinen Sweig
der Staatshokeit, auf den er nicht anwendbar wäre; politische
Möglichkeiten oder Unmöglichkeiten sind hier nicht zu erörtern;
rechtlich besteltt keine sachliche Schranke für Anwendung des Art. 78
Abs. 1, insbesondere kann eine solche Schranke rechtlich nicht ge-
funden werden in den „vertragsmäßigen Grundlagen des Reiches“,
denn solche existieren im Rechtssinne, wie oben dargelegt, nicht.
Das ist der logisch und juristisch ummöglich abzuleugnende
Rechtssinn des Art. 78 Abs. I. Und es ist wohl verständlich,
daß, wie Delbrück seinerzeit im Reichstag mitteilte, dieser Hunkt
der schwierigste und kaum zu überwindende in den Derhand-
lungen mit Bavern war, das für sich ein Deto gegen Der-
fassungsänderungen in Anspruch nahm und davon seinen An-
schluß ans Reich abhängig machen wollte.
Aber wenn auch sachlich der Rechtsgrundsatz des Art. 78
Abs. 1 völlig uneingeschränkt ist, so ergeben sich doch formell
für seine Anwendung aus der Derfassung selbst zwei Schranken:
einmal zu gunsten Hreußens und sodann zu gunsten einiger
anderer Einzelstaaten. Der erste Hunkt liegt in dem Stimmen-=
verhältnis Dreußens im Bundeskate; gemäß Art. 78 Abs. ist
eine Derfassungsänderung nicht möglich, wenn 14 Stimmen im
undesrat dagegen sind; da Hreußen 17 Stimmen im ZBundes-
rat hat, ist es also jederzeit in der Lage, eine Derfassungs-
änderung zu bindern. Nebenbei sei dazu bemerkt, daß ein
Drei-Königsbündnis der drei anderen Königreiche jederzeit den-
selben Erfolg bewirken kann.:)
1) S. die Angaben über die Stimmen der Einzelstaaten unten S.5.