Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
I. Buch. IV. Ostmarkenpolitik. 127 
Fraktion dem Führer Koecielski die Gefolgschaft. Herr von Koscielski selbst hielt in Lem- 
berg 1894 jene unvorsichtige Kede, die wesentlich dazu beitrug, eine Umwendung der 
preußischen Ostmarkenpolitik in die Bahnen Bismarcks zu bewirken. Damals, im Sep- 
tember 1894, wurde der deutsche Ostmarkenverein gegründet nach einer Huldigungsfahrt 
ostmärkischer Deutscher zum Altreichskanzler nach Varzin. 
Die Traditionen Bismarcks fanden nach dem Rücktritt Caprivis einen umsichtigen 
Vertreter in Miquel. Dem Fond der Ansiedelungskommission wurden 1898 neue Mittel 
zugeführt und mit Landerwerb in größerem Maßstabe vorgegangen. Aber die Wahr- 
heit des Dichterwortes „Was man von der Minute ausgeschlagen, gibt keine Ewigkeit 
zurück“ erwies sich auch in der preußischen Ostmarkenpolitik. Die günstige Konjunktur 
auf dem Gütermarkte, die anfangs der neunziger Jahre ungenützt geblieben war, 
war vorüber. Dem polnischen Grundbesitz war in der kritischen Zeit geholfen worden, 
die Polen hatten Zeit gewonnen, sich zum Kampf um den Boden zu organisieren. Während 
von 1886 bis 1888 durchschnittlich jährlich 11 000 ha aus polnischen Händen von der An- 
siedelungskommission erworben worden waren, konnten 1895 nur 911 ha, 1896 1804 ha, 
1897 bis 1899 jährlich nur durchschnittlich 2300 ha aus polnischer Hand angekauft werden. 
Mehr und mehr mußte der für die Zwecke der Ansiedelung erforderliche Landbedarf 
aus deutschem Gutsbesitz gedeckt werden. 
Oie Energie, mit der die Polen die Abwehr des deutschen Angriffs auf ihren Boden 
in Szene gesetzt haben, verdient Bewunderung. Die deutsche Siedelungsaktion ward 
mit einer polnischen Gegenaktion beantwortet. Die Polen parzellierten ihrerseits Güter, 
für die sie die Siedler vielfach gewannen aus der großen Zahl der polnischen Industrie- 
arbeiter im Westen. Während es den Polen für eine Schande galt, den Deutschen Land 
zu verkaufen, scheuten sich Deutsche leider oft nicht, den Polen für hohen Entgelt deut- 
schen Grundbesitz zu überlassen. Wohl gelang es mir, nach Aufschüttung des Ansiede- 
lungsfonds im Jahre 1902 das Ansiedelungswerk in bedeutendem Umfange zu 
fördern. Es wurden 22 007 ha im FJahre 1902, 42 052 ha 1903, 33 108 ha 1904, 
34 661 ha 1905, 20 671 ha 1906 und nach der Bewilligung neuer Mittel 1908 in diesem 
Zahre 14 095 ha, 1909 21 095 ha für die Ansiedelung erworben. Aber der Ankauf 
von Gütern aus polnischem Besitz gestaltete sich immer schwieriger, da die Polen ihr 
Land festhielten und die Tätigkeit der Ansiedelungskommission auf der einen, die pol- 
nische Parzellierungspolitik auf der anderen Seite eine Güterspekulation zur Folge 
hatte, die die Güterpreise reißend in die Höhe trieb. Sollte das mit solchen Opfern 
und um den Preis schwerer Kämpfe unternommene Ansiedelungswerk nicht zur schließ- 
lichen Resultatlosigkeit verurteilt sein, so mußte ein Gedanke verwirklicht werden, den 
Biemarck schon 1886 ausgesprochen hatte und der später wieder und wieder erörtert 
worden ist: der Gedanke der Enteignung. Das Gesetz von 1908 gab dem Staat das Recht, 
Ansiedelungsland im Wege der Enteignung zu erwerben. Das Gesetz war die logische 
Konsequenz der im Jahre 1886 begonnenen Ansiedelungspolitik, es macht die Tätig- 
keit der Ansiedelungskommission frei von den Konjunkturen des Gütermarktes und 
sichert einer entschlossenen Regierung in dem wirtschaftlichen Kampf um den Boden am 
letzten Ende die Uberlegenheit. 
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