Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
30 Staats- und Verwaltungerecht. II. Buch. 
  
a) Eine Reihe von Gesetzen bezog sich auf einzelne Gewerbebetriebe, sei es aus 
Gründen der Staatssicherheit, sei es zum Schutze der Gesundheit des Volkes, sei es 
behufs Wahrung der geschäftlichen Moral; der ersten Gruppe sind zuzurechnen die Ge- 
setze über den Handel mit Dynamit (1891), das Gesetz über amtliche Prüfung der Läufe 
und Verschlüsse von Handfeuerwaffen (1891), die zahlreichen Anordnungen zur Ourch--- 
führung der gesetzlichen Vorschriften über die sog. „gefährlichen Anlagen“ sowie über 
Dampfkessel. Zur zweiten Gruppe gehören besonders die Vorschriften über den ge- 
werblichen Verkehr mit Arzneimitteln sowie die bereits oben erwähnten Gesetze gegen 
Verfälschung von Nahrungsmitteln; die dritte Gruppe bilden die Gesetze über unlauteren 
Wettbewerb, gegen den Wucher (1893) und über die Abzahlungsgeschäfte (1894), die 
ebenfalls bereits Erwähnung gefunden haben; auch das Stellenvermittelungegesetz (1910) 
ist zu dieser Gruppe zu rechnen. 
b) Einen erhöhten Rechtsschutz auf dem Gebiete des gewerblichen Lebens bezweckt 
das bereits aus früherer Zeit stammende, aber auf Grund der gemachten Erfahrungen, 
sowie im Hinblick auf das enorme Wachstum des gewerblichen Lebens völlig umgestaltete 
Gesetz über die besonderen Gewerbegerichte (neueste Fassung von 1901), deren Zu- 
sammensetzung die Gewähr bieten soll, daß Gewerbestreitigkeiten nicht lediglich aus 
formal juristischen, sondern auch aus Gesichtspunkten gewerblicher Sachkunde und Er- 
fahrung entschieden werden. 
Jß0) Aus den gleichen Gründen wie das Gewerbegerichtsgesetz soll auch die ältere 
Gesetzgebung über gewerblichen Urheber- und Erfinderschutz (1901), das Patentgesetz 
(1891) und die Gesetzgebung über Schutz der Gebrauchsmuster (1904) und Waren- 
bezeichnungen (1894) eine gründliche Umarbeitung erfahren, die in neuen Gesetzent- 
würfen demnächst die Offentlichkeit beschäftigen wird. UÜberall auf dem Gebiete des 
gewerblichen Lebens tritt uns sowohl von seiten der Reichsregierung wie des Reichs- 
tages das ernste und erfolgreiche Bestreben entgegen, die gemachten Erfahrungen für 
die möglichste Bollendung der Gesetzgebung zu verwerten und der ungeheuren Ent- 
faltung deutscher Arbeit im letzten Vierteljahrhundert die richtigen gesetzlichen Grund- 
lagen zu geben. 
d) Eine der hauptsächlichsten Aufgaben, die zu lösen die Gesetzgebung des Deutschen 
Reiches in den letzten Jahrzehnten sich mit größter Anstrengung und höchstem sittlichen 
Ernste bemüht hat, war die Frage des Arbeiterschutzes. Mehr und mehr wurde die 
Sonntagsarbeit beschränkt und der Tag dürfte nicht mehr fern sein, der dem deutschen 
Volke die vollständige Sonntagsruhe, wenn auch nicht in der Vollständigkeit des eng- 
lischen und amerikanischen Volkslebens bringt; gegenüber dem großen wirtschaftlichen 
und sittlich religiösen Gedanken, der hier für unser Volk durchgesetzt werden muß, müssen 
alle Ueineren Bedenken zurücktreten. 
Sehr zahlreiche Vorschriften ergingen ferner zur Einschränkung der Kinder- und 
Frauenarbeit; über Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben bestimmte 1903 ein um- 
fassendes Sondergesetz. Auch auf diesem für die äußere und innere Gesundhbeit des 
Volkes hochwichtigen Gebiete ist zwar bereits vieles erreicht, ein Abschluß der gesetz- 
geberischen Arbeit aber bis jetzt noch nicht gewonnen. Kleine Bedenken müssen auch bier 
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