Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
48 Staats- und Verwaltungerecht. II. Buch. 
  
Die Handel und Gewerbe betreffende Gesetzgebung 
liegt in der Hauptsache in den Händen des Reiches. 
Die zur Wahrung der Interessen von Handel und Gewerbe teilweise schon seit langer 
Zeit bestehenden landesrechtlichen Sachverständigenorgane, die Handels- und Gewerbe- 
kammern, haben durch die Gesetzgebung eine weitere Ausgestaltung erfahren; dem- 
gemaß erfolgte eine Neuredaktion des Handelskammergesetzes im Jahre 1897. Ein 
umfassendes Sondergesetz hat 1910 die Rechtsverhältnisse des Geschäftsbetriebes der 
öffentlichen Feuerversicherungsanstalten neu geregelt, von dem Grundsatze ausgehend, 
daß diese Anstalten nur dem gemeinen Nutzen, nicht Erwerbszwecken zu dienen haben. 
Eine besondere Warenhaussteuer, die 1900 eingeführt wurde, bezweckte in erster Linie 
den Schutzg der kleinen Gewerbetreibenden gegen den erdrückenden Wettbewerb der 
großen Warenhäuser, deren Warenumsatz 400 000 Mark übersteigt. 
Die alte Seehandlung Friedrichs des Großen fand 1904 eine gesetzliche Neugestal- 
tung als Preußische Bank unter Erhöhung des Betriebskapitals um 65 Millionen Mark. 
LANch sonst trat der preußische Staat in den Wettbewerb von Handel und Induftrie ein, 
so insbesondere durch Beteiligung an der Bergwerksgesellschaft Hibernia mit 70 Mil- 
lionen Mark. Das Monopolrecht des Staates für Aufsuchung und Gewinnung von Erd- 
produkten erfuhr 1910 — in Abänderung des Allgemeinen Berggesetzes von 1865 — 
eine Neuordnung dahin, daß Erdöl, Steinsalz, Kali-, Magnesia- und Borsalze diesem 
Monopol unterstellt wurden: eine gesetzgeberische Maßnahme von allergrößter grund- 
sätzlicher Bedeutung, die auf der Grundlage der Reichsgesetzgebung erfolgte. Uber 
den gewaltigen Aufschwung von Handel und Industrie des privaten Erwerbslebens, 
der dem letzten Menschenalter für Deutschland geradezu die Signatur gibt und in der 
deutschen Geschichte keine Parallele hat, wird an anderer Stelle dieses Werkes berichtet 
werden. 
Auch die Gesetzgebung über die Arbeiterverhältnisse gehört in erster Reihe zur Zu- 
ständigkeit des Reiches. An der staatlichen Fürsorge für Arbeiter hat sich die preußische 
Gesetzgebung seit 1895 in besonderer Weise betätigt durch wiederholte Gewährung 
staatlicher Mittel zur Herstellung guter und billiger Arbeiterwohnungen für staatlich 
beschäftigte Arbeiter sowie gering besoldete Beamte sowie durch Beförderung der Ein- 
richtung von Wanderarbeitsstätten durch die Provinzen. Ferner erging im JZahre 1909 
ein umfassendes Gesetz über Handhabung der Aufsicht in Bergwerken, insbesondere 
auf Steinkohlen-, unterirdisch betriebenen Braunkohlen- und Erzbergwerken sowie auf 
Kalisalzbergwerken (Sicherheitsmänner und Arbeiterausschüsse) in Abänderung der Vor- 
schriften des Allgemeinen Berggesetzes. Zur Erledigung von Bergarbeiterstreitigkeiten 
waren schon 1906 Knappschaftsschiedsgerichte und als höhere Instanz ein Oberschieds- 
gericht geschaffen worden. 
5. Handel und Gewerbe. 
  
b6. Landwirtschaft. Dagegen ist die Regelung der Rechtsverhältnisse der Landwirt-- 
schaft im wesentlichen der Landesgesetzgebung verblieben und 
zahlreiche preußische Gesetze der letzten Zeit beziehen sich hierauf. 
Die großen Daseinsfragen der Landwirtschaft in richtiger Weise zu beantworten, 
  
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