Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
18 Auswärtige Politik. I. Buch. 
  
Aber selbst, wenn es gelang, Englands südafrikanische Politik durch eine europäische 
Aktion zu durchkreuzen, so war für unsere nächsten nationalen Interessen damit nichts 
gewonnen. Unsere Beziehungen zu England wären selbstredend von Stund an und für 
lange Zeit gründlich vergiftet worden. Der passive Widerstand Englands gegen die Welt- 
politik des neuen Deutschland hätte sich in eine sehr aktive Gegnerschaft verwandelt. 
Wir gingen gerade in jenen Jahren an die Begründung der deutschen Seemacht durch den 
Bau unserer Kriegsflotte, England aber hatte, auch unbeschadet eines etwaigen Miß- 
erfolges im südafrikanischen Kriege, damals die Macht, unsere Entwicklung zur 
Seemacht im Keim zu ersticken. Unsere neutrale Haltung während des Burenkrieges 
entsprang gewichtigen nationalen Interessen des Deutschen Reiches. 
Uns den Weg zur Erringung zureichender Seemacht über die Interessen Englands 
hinweg gewaltsam zu bahnen, waren wir zur See nicht stark genug. Zm Schlepp- 
tau englischer Politik war das den Engländern unerwünschte Ziel deutscher Macht- 
entfaltung zur See ebensowenig zu erreichen. 
Preßerörterungen über die Möglichkeit Sesenne — mreenuti 
deutsch-enalie Bündnisses. englische Wider gegendie deutsche 
eines deutsch-englischen ndnisses Weltpolitik und vor allem gegen den 
deutschen Flottenbau am leichtesten überwunden werden durch ein Bündnis zwischen 
Deutschland und England. Die Zdee einer deutsch-englischen Allianz ist in der 
Tat in der Presse beider Länder bisweilen erörtert worden. Dieser Gedanke hat schon 
Bismarck beschäftigt, freilich, um ihm schließlich die resignierte Bemerkung zu entlocken: 
„Wir wären ja gern bereit, die Engländer zu lieben, aber sie wollen sich nicht von uns 
lieben lassen.“ Auch später wäre Oeutschland vielleicht nicht abgeneigt gewesen, 
auf der Basis voller Parität und gleichmäßiger Bindung in ein vertragsmäßiges 
Verhältnis zu England zu treten. Mit Stipulationen, die England im Falle eines 
Regierungswechsels oder bei Eintritt anderer, von unserem Willen unabhängiger 
Ereignisse hätte abstreifen können, während wir an sie gebunden geblieben wären, würde 
den deutschen Interessen nicht gedient gewesen sein. Es hätte uns auch nicht genügen 
können, daß nur dieser oder jener Minister einem deutsch-englischen Abkommen geneigt 
schien. Um ein Abkommen haltbar zu machen, mußte sich die gesamte Regierung und 
vor allem der Premierminister dafür einsetzen. Bismarck hat darauf bingewiesen, wie 
schwierig es sei, in ein festes Verhältnis zu England zu treten, weil Bündnisse von längerer 
Dauer nicht den englischen Traditionen entsprächen und die Meinungsäußerungen 
englischer Politiker selbst in leitender Stellung oder momentane Stimmungen der eng- 
lischen Presse nicht den Wert unwandelbarer Zusagen hätten. Frankreich, dem aus vielen 
Gründen die englische öffentliche Meinung geneigter ist als uns, in dem England heute 
nicht mehr einen Rivalen und namentlich keinen ernstlichen Konkurrenten zur See und 
im Welthandel sieht, befindet sich England gegenüber in einer anderen Lage als wir. 
Nur bei absolut und dauernd bindenden englischen Verpflichtungen hätten wir angesichts 
der Eifersucht weiter englischer Kreise gegen die wirtschaftlichen Fortschritte Deutschlands 
und vor allem gegen das Anwachsen der deutschen Kriegsflotte die Brücke einer englisch- 
  
  
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