Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
106 Finanzen und Steuern. II. Buch. 
  
Im allgemeinen darf man bei Betrachtung der Ausgaben mit der Anerkennung 
nicht zurückhalten, daß der Reichstag die erforderlichen Mittel dem Reiche zur Ver- 
fügung gestellt hat. Selbst für die großen und oft heiß umstrittenen Forderungen der 
Heeres- und Marineverwaltung hat sich immer eine Mehrheit finden lassen. Die früher 
auch bei manchen bürgerlichen Parteien übliche NRechthaberei und unfruchtbare Negation 
ist einer großzügigeren Auffassung und besserer Einsicht gewichen. Daß der Reichstag 
die großen Ansprüche der Heeres- und Marineverwaltung im Sommer dieses Zahres 
mit einer erdrückenden Mehrheit bewilligt hat, ist ein Ruhmesblatt in seiner Ge- 
schichte. Er hat damit die Auffassung der KReichsregierung gebilligt und den veränderten 
politischen Verhältnissen mit einsichtsvoller patriotischer Gesinnung Rechnung getragen. 
Der Artikel 70 der Reichsver- 
fassung verwies in seiner ur- 
sprünglichen Gestalt das Reich 
zur Bestreitung seiner Ausgaben in erster Linie auf die Uberschüsse der Vorjahre, dann 
auf die gemeinschaftlichen Einnahmen aus den Zöllen, den gemeinschaftlichen Verbrauchs-- 
steuern und dem Post- und Telegraphenwesen. „Insoweit dieselben“, heißt es dann wört- 
lich, „durch die Einnahmen nicht gedeckt werden, sind sie, solange Reichssteuern nicht ein- 
geführt sind, durch Beiträge der einzelnen Bundesstaaten nach Maßgabe ihrer Bevölke- 
rung aufzubringen, welche bis zur Höhe des budgetmäßigen Betrags durch den Reichs- 
kanzler ausgeschrieben werden.“ 
Die wachsenden Bedürfnisse des Reiches machten aber bald eine Ergänzung dieser 
dürftigen finanziellen Ausstattung erforderlich. Schon bis zum JZahre 1888/89 hatte 
sich der ursprünglich enge Umkreis der Einnahmen erheblich erweitert; und ein Blick 
in den Voranschlag des Jahres 1913 zeigt eine große Anzahl neu hinzugekommener 
Abgaben und eine sehr starke Steigerung des Erträgnisses der 1888/89 bereits vorhandenen. 
Die folgende Ubersicht über die dauernden Einnahmen für die Jahre 1872, 1888/89 und 
1912 tut dies einleuchtend dar. 
2. Die Einnahmen und das Schuldenwesen. 
Das Einnahmewesen im allgemeinen. 
  
  
Einnahmen des Reiches in 1000 M. 
  
A. Erwerbseinkünfte!) 1872 1888/89 1912 
Post und Telegraphie 14 054 31 719 112 835 
Eisenbahnverwaltung 5 525 20 338 31 391 
Reichsdruckerei — 1375 3181 
Bankwesen — 1 oss 15 264 
Summe A:z 19 579 54 520 162 671 
B. Zölle und Verbrauchssteuern. 
Zölle 94 878 283 149 703 470 
Tabaksteuer 1 300 10 841 11 325 
Sigarettensteuer — — 33 469 
Zuckersteuer 4121 9507 157 600 
Salzsteuer 24 623 41 287 59 660 
Branntweinsteuer 33 465 99 718 203 455 
i) Aur die Aberschusse. 
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