Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
46 Der Strafprozeß. III. Buch. 
  
Dr. Friedberg führte, beschloß in Einzelheiten mehrere Abänderungen, nahm aber die 
grundlegenden Prinzipien an, und zwar die Ersetzung der Schwurgerichte durch Große 
Schöffengerichte mit einer Mehrheit von 8 gegen 5 Stimmen. ODer aus ihren Beratungen 
hervorgegangene II. Entwurf gelangte im Frühjahr 1874 an den Bundesrat und erlitt 
bier die prinzipielle Anderung, daß das Institut der Schwurgerichte wieder aufgenommen, 
aus den Strafgerichten mittlerer Ordnung das Laienelement entfernt und die Zuziehung 
von Schöffen sonach nur für die Strafgerichte unterster Ordnung beibehalten wurde. 
Entwurf 1874. Der vom Bundeerat festgestellte III. Entwurf der Str PO. 
nebst SBV#G. wurde beim Reichstage in der Herbstsession 1874 
gleichzeitig mit der Zivilprozeßordnung und Konkursordnung eingebracht. Dieser 
überwies die Entwürfe einer Kommission von 28 Mitgliedern des Reichstags. 
Zum Vorsitzenden wurde Migquel, damals Oberbürgermeister von Frankfurt a. M., 
zu dessen Stellvertreter der sächsische Generalstaatsanwalt von Schwarze gewählt. 
Außer diesen und zwei Professoren des Rechts (Gneist und Marquardsen) waren die 
Mitglieder der Reichstagskommission meist höhere richterliche Beamte. An den Be- 
ratungen nahmen als Vertreter des Bundesrats bzw. der einzelnen Regierungen ohne 
Stimmrecht teil der Direktor des Reichsjustizamts von Amsberg, die vortragenden 
NKäte Hanauer und Hagens bei derselben Behörde und eine Reihe Ministerialräte 
der größeren Bundesstaaten. 
Die Kommission, die während der Vertagungen des Reichstags ununterbrochen 
weiter arbeitete, beriet die Entwürfe in zwei Lesungen. ODen in der 1. Lesung gefaßten 
Beschluß, gegen die Urteile der untersten und mittleren Gerichte die Berufung zuzu- 
lassen, änderte sie, als der Bundesrat diesen Beschluß bezüglich der mittleren Gerichte 
für unannehmbar erklärte, in der 2. Lesung dahin ab, daß sie nur gegen die Urteile der 
untersten Gerichte Berufung zuließ. Uber verschiedene Differenzpunkte, die zwischen 
Reichstag und Bundesrat übrigblieben, fanden schließlich vertrauliche Verhandlungen 
zwischen den Führern der Moajorität und Vertretern des Bundesrats statt. Die auf Grund 
dieser Berhandlungen eingebrachten Kompromißanträge wurden nach lebhaften Debatten 
von der Majorität des Reichstags angenommen. Sie betrafen durchweg Fragen von 
politischer Bedeutung. Die 1. und 2., bei denen es sich um Rechte der Presse handelte, 
waren folgende: 1. Im Zusammenhang mit der Bestimmung, daß dasjenige Gericht 
zuständig ist, in dessen Bezirk die strafbare Handlung begangen ist, hatte der Reichs- 
tag beschlossen, daß bei Verfolgungen wegen des Inhalts von Hruckschriften die 
strafbare Handlung nur an dem Ort als begangen gelte, an dem die Oruckschrift erschienen 
sei. Dieser Beschluß wurde vom Reichstag auf Grund des Kompromisses fallen gelassen. 
2. Desgleichen gab der Reichstag die von ihm beschlossene Bestimmung auf, wonach bei 
der Verfolgung periodischer Druckschriften, für welche der verantwortliche Redakteur 
als Täter hafte, Berleger, Redakteur, Drucker und Hilfspersonal berechtigt sein sollten, 
das Zeugnis über die Person des Verfassers und Einsenders zu verweigern. 
Mit Recht konnte Kaiser Wilhelm I. am 22. Dezember 1876, als er die Reichstags- 
session schloßb, in seiner Thronrede aussprechen, daß die Entwürfe der Juftizgesetze von 
  
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