Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
III. Buch. ODer Strafprozeß. 47 
  
den Kommissionen mit angespanntestem Fleiße und mit der eingehendsten Sorgfalt 
geprüft worden seien und dann der Reichstag die Beratungen über die Gesetze mit einem 
Eifer und einer Hingebung gepflogen habe, die der nationalen Aufgabe würdig waren. 
Bei einem so umfangreichen und bedeutungsvollen Werke hätten in der ersten Be- 
urteilung die Meinungen über viele und wichtige Punkte notwendig in dem Maße aus- 
einandergehen müssen, wie es der Verbreitung und der Bielseitigkeit juristischer Durch- 
bildung in allen Teilen unseres Vaterlandes entsprach. Dennoch sei es dem Reichstag 
zu aufrichtiger Freude des Kaisers gelungen, alle Meinungsverschiedenheiten im Wege 
der Verständigung unter sich und mit den verbündeten Regierungen auszugleichen und 
die Verhandlungen zu einem befriedigenden Abschluß zu bringen. Das Gefühl des 
Dankes für die Bereitwilligkeit, mit welcher der Reichstag den verbündeten Regierungen 
zu dieser Verständigung entgegenkam, sei in ihm um so lebhafter, je höher er den Gewinn 
anschlage, der aus dem Gelingen des Werkes für unser nationales Leben erwachsen 
müssse. 
Ungeachtet der sorgfältigen Vorbereitung wurden gegen die Str#. schon bald 
nach ihrem Inkrafttreten lebhafte Angriffe sowohl aus fachmännischen, als 
aus Laienkreisen gerichtet. Die große Reihe der dann fortwährend gemachten Versuche 
der Reichsregierungen und des Reichstags, sich über eine Anderung der angegriffenen 
Bestimmungen zu einigen, hatte, wie schon eingangs hervorgehoben, keinen Erfolg. 
Die noch unter der Regierung Wilhelm lI. erlassenen Abänderungsgesetze vom 
17. März 1886 und 5. April 1888 betreffen nur Einzelheiten von geringer Bedeutung. 
Ersteres die Plenarentscheidungen des Reichsgerichts, das andere die unter Ausschluß 
der Offentlichkeit stattfindenden Gerichtsverhandlungen, insbesondere das Schweige- 
verbot. " 
Seit dem Regierungsantritt Wilhelmsll. 
ist durch das Einführungsgesetz zum BGB. vom 
18. August 1896 Berlin für Deutsche in deut- 
schen Schutzgebieten, die keinem Bundesstaat angehören, zum Wohnsitz in Ansehung des 
Gerichtsstandes bestimmt, und die Zulassung als Beistand eines Angeklagten auf jeden 
gesetzlichen Vertreter ausgedehnt. Ebenso regelt das Gesetz vom 17. Mai 1898 nur 
Einzelheiten ohne grundsätzliche Bedeutung. Von größerer Wichtigkeit sind die Gesetze 
vom 20. Mai 1898 und 14. Zuli 1904, die dem im Wiederaufnahmeverfahren frei- 
gesprochenen Beschuldigten für den ihm durch die Strafvollstreckung entstandenen Ver- 
mögensschaden und dem im Strafverfahren freigesprochenen oder außer Verfolgung 
gesetzten Beschuldigten für die unschuldig erlittene Untersuchungshaft Entschädigung aus 
der Staatskasse gewähren. Das Gesetz vom 15. Mai 1902 hat sich in der ersten der 
zwischen Bundesrat und Reichstag durch Kompromiß erledigten Streitfragen — dem 
Gerichtsstand für Strafverfolgungen von Oruckschriften — der Forderung des Reichs- 
tags gefügt, für die inzwischen der deutsche Zuristentag im Jahre 1900 nochmals ein- 
getreten war. Aus der Znitiative des Reichstags ging das Gesetz vom 5. Mai 1905 
hervor, das zur Beschleunigung des Verfahrens die Zuständigkeit der Schöffengerichte 
Abänderungsgesetze seit dem 
Regierungsantritt Wilhelms II. 
  
  
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