I. Buch. Auswärtige Politik. 29
Her Hreibund. Selten oder nie hat die europäüsche Geschichte ein Bündnis
von einer Standfestigkeit wie den Dreibund gesehen. Im Jahre
1879 schloß Bismarck das Bündnis mit Österreich- Ungarn, 1883 trat Ztalien dem Bunde
bei. Seit nunmehr 30 Zahren sind die Bündnisverträge regelmäßig erneuert worden,
und immer wieder haben sich hinsichtlich der Haltbarkeit des Dreibundes die Hoff-
nungen der Übelwollenden, die Befürchtungen der Wohlmeinenden als unbegründet
erwiesen. Soweit sich eine der Parteipolitik angehörende Kennzeichnung auf die in Ur-
sachen, Wirkungen und Zwecken wesensverschiedene internationale Politik anwenden läßt,
wird man sagen dürfen, daß dem Dreibund ausgesprochen konservative Tendenzen eigen
sind, und daß hierin der vorwiegende Grund für seine Haltbarkeit zu suchen ist. Es sind nicht
Eroberungsabsichten, nicht unbefriedigter Ehrgeiz, was die Staaten des Dreibundes zusam-
mengeführt hat und zusammenhält. Der feste Wille, die bestehenden europäischen Macht-
verhältnisse zu erhalten, ihre gewaltsame Veränderung, wenn nötig auch mit Gewalt
zu verhindern, hat die drei mitteleuropäischen Reiche zusammengeführt. Jeder revolu-
tionären europäischen Politik, die etwa die Bahnen Ludwigs XIV. oder Napolerns lI.
betreten wollte, steht die geschlossene Kraft Mitteleuropas entgegen, die wie ein mächtiges
Befestigungswerk den Kontinent teilt. Das Bestehende erhalten wollen, heißt in der
internationalen Politik den Frieden wollen. Die Begründer des ODreibundes haben
bewußt eine Friedensbürgschaft geschaffen. Sie sind in ihren Hoffnungen nicht ge-
täuscht worden, denn die Festigkeit des Dreibundes hat mehr als einmal während der
letzten 30 Zahre aufsteigende Kriegsgefahren gebannt.
Stalien. Das Verhältnis Italiens zum Dreibund hat seit 30 Zahren manche
— Oszillationen durchgemacht, die zum Teil der Rückschlag innerpolitischer
Vorgänge in Italien waren, zum Teil auch aus der besonderen Entwicklung einzelner
Mittelmeerfragen hervorgingen. Es ist den zeitweise mit großer Hartnäckigkeit und
vielem Eifer betriebenen Bemühungen unserer Gegner nicht gelungen, Italien vom
Dreibund zu trennen.
Die Beziehungen Btaliens zu ÖOsterreich sind naturgemäß komplizierter als unser
Verhältnis zu Italien. Die Erinnerung an die leidenschaftlichen Kämpfe, die das italie-
nische BVolk während eines halben Zahrhunderts gegen die österreichische Herrschaft in
Ztalien geführt hat, ist noch nicht erloschen. Denkmäler und Inschriften, eine umfang-
reiche Literatur und der feurige Patriotismus der Ztaliener sorgen dafür, solche Er-
innerungen wachzuhalten. Der Umstand, daß fast eine Million Italiener der Habs-
burgischen Monarchie angehören, hat auch die österreichisch-italienischen Beziehungen
wiederholt und bisweilen störend beeinflußt. Das bleibt auch für die Zukunft ein empfind-
licher Punkt. Mancher Ztaliener blickt auf seine Stammesgenossen innerhalb der schwarz-
gelben Grenzpfähle nicht mit der Gelassenheit, die dem deutschen Volk unser größter
Staatsmann mit Bezug auf unsere Stammesgenossen im Ausland und insbesondere
in ÖOsterreich-Ungarn anempfohlen hat. ZItaliener wie Osterreicher sollten stets der Wahr-
heit eingedenk bleiben, die ein bedeutender italienischer Staatsmann, der Botschafter
Graf Migra, mir gegenüber einmal in die Worte kleidete: „Osterreich und Italien können
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