Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
58 Der Strafprozeß. III. Buch. 
  
Laien erfolgt und keinem Angriff im Wege der Berufung unterliegt. Dabei fehlen 
für die Wahrsprüche der Geschworenen auch sonst noch Garantien für eine der Sachlage 
gemäße Rechtsprechung, wie sie bei den anderen Strafgerichten bestehen. Die Wahr- 
sprüche ergehen ohne alle Begründung. Infolgedessen sind auch selbst der Revision, 
die allerdings gegen die Urteile der Schwurgerichte zugelassen ist, materielle Rechts- 
fehler der Wahrsprüche, weil mangels einer Begründung unerkennbar, entzogen. 
Andererseits ist den Laien als Geschworenen für denjenigen Teil der Rechtsprechung, 
bei der die Mitwirkung von Laien am wichtigsten ist und der ohne Zweifel auch 
ihnen der wichtigste sein wird — für die Strafabmessung — jede Mitwirkung ver- 
sagt, abgesehen von dem Falle, daß ihnen die Frage nach mildernden Umständen ge- 
stellt wird, auf deren Stellung sie aber auch, wie auf die Formulierung der Schuld- 
fragen, keinen Einfluß haben. Bicht selten sind Freisprüche der Geschworenen den an 
den Verhandlungen beteiligten Richtern, Staatsanwälten und Verteidigern unbegreif- 
lich. Durchweg halten die Richter dringend eine Neform der Schwurgerichte vor allem 
dahin für erforderlich, daß die unnatürliche Absonderung der Geschworenen von den 
Lüchtern und ihre ebenso unnatürliche Beschränkung auf die Beantwortung von Fragen, 
bei deren Stellung sie nicht mitzureden haben, abgeschafft werden. Die Bunde#regie- 
rungen scheuen vor einer solchen Neform der Schwurgerichte zugegebenermaßen nur 
wegen der Volkstümlichkeit der Schwurgerichte in ihrer jetzigen Form zurück — einer 
Volkstümlichkeit, zu welcher der Grund zu einer Zeit gelegt wurde, als bei den übrigen 
Strafgerichten noch keine Laien mitwirkten und vielfach selbst das Verfahren noch kein 
öffentliches und mündliches war. ch bin überzeugt, daß, wenn die von den Sichtern 
abgesonderten Geschworenen durch Laien ersetzt werden, die Sitz und Stimme im Nichter- 
kollegium und namentlich auch bei der Strafabmessung haben, diese Art der Teilnahme 
an der Rechtsprechung von den Laienrichtern als weit wertvoller und befriedigender 
empfunden und wenn dann auch noch zugleich gegen die Urteile über die schwersten 
Straffälle ebensowohl, wie über die leichteren, Berufung, und zwar an Berufungsgerichte 
eröffnet wird, bei denen gleichfalls Laien mitwirken, diese Umgestaltung der Schwur- 
gerichte auch vom Volke sehr bald als eine bedeutende Verbesserung erkannt wird. 
Nach meiner Ansicht wird aber auch ein Kompromiß über die Laienfrage zwischen Bun- 
desrat und Reichstag viel leichter zustande kommen, wenn mit der Zulassung der Laien 
in der Berufungseinstanz die Umwandlung der Schwurgerichte in Schöffengerichte ver- 
bunden wird. Diejenigen Kreise, die sich bis jetzt noch gegen die Mitwirkung von Schöffen 
in der Berufungeinstanz sträuben, sind erst recht Gegner der jetzigen Gestaltung der 
Schwurgerichte, wonach bei diesen die Wahrsprüche über die Schuld ausschließlich in die 
Hand von Laien ohne Mitwirkung von Richtern gelegt sind. Sie werden voraussichtlich 
bezüglich der Zulassung von Laien in den Berufungsgerichten nachgeben, wenn dagegen 
am Schwurgericht die völlige Selbständigkeit der Laien in Feststellung der Schuld auf- 
gehoben wird. Ebenso werden, wie ich glaube, die Anhänger der Schwurgerichte in 
deren Umgestaltung zu Schöffengerichten willigen, sobald sie damit die von ihnen ge- 
wünschte Zuziehung von Schöffen in den Berufungsgerichten erkaufen können. Dahin 
gingen denn auch die Vorschläge der Reformkommission von 1905. Das Einzige, was 
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