62 Völkerrecht. III. Buch.
internationaler Richtungen und Bestrebungen nur die schädliche Wirkung haben könnte,
die allmählich erstarkte nationale Gesinnung im deutschen Volke wieder zu schwächen
und dadurch dasselbe in seiner Widerstandsfähigkeit im internationalen Wettstreite und
Kampfe zu beeinträchtigen.
.
Der Begriff des Völkerrechts — Die völkerrechtliche Gemeinschaft
Begriff des Völkerrechts. Mit dem Ausdrucke „Völkerrecht“ bezeichnet man den
Inbegriff der Rechtsgrundsätze und Rechtsvorschriften,
welche die friedlichen wie kriegerischen Beziehungen der in staatlichen Gemeinwesen
organisierten, die sog. völkerrechtliche Gemeinschaft bildenden Völker regelny.
Zede Rechtsgemeinschaft setzt eine gewisse Gemeinsamkeit der Kultur und der sich
aus derselben ergebenden ethischen Anschauungen unter den die Gemeinschaft bilden-
den Personen und Gemeinwesen voraus, da nur auf dieser Grundlage eine die Mitglie-
der der Gemeinschaft bindende Rechtsordnung entstehen kann. Ferner ist es notwendig,
daß die Personen und Gemeinwesen, die eine Rechtsgemeinschaft bilden sollen, sich gegen-
seitig als Rechtssubjekte anerkemnnen und daher geneigt sind, miteinander in Verkehr zu
treten. Das Völkerrecht als die Rechtsordnung, welche die Beziehungen der von einander
unabhängigen und selbständigen, d. h. souveränen Staatswesen regelt, setzt endlich vor-
aus, daß eine gewisse Anzahl solcher Gemeinwesen vorhanden ist, die miteinander in
Beziehungen treten können, eine Voraussetzung, die fehlen würde, wenn alle Völker
in einem einheitlichen Weltreiche vereinigt wären.
Im Altertum fehlte es in der Hauptsache an der gegenseitigen Anerkennung der
nebeneinander bestehenden staatlich organisierten Bölker, und damit an der Möglichkeit
von Rechts- und Pflichtverhältnissen unter ihnen. Bei den Griechen insbesondere war
das Verhältnis zu anderen Völkern wesentlich vom Gefühle der Uberlegenheit ihrer
Kultur über die der fremden Völker, die sie als Barbaren bezeichneten, beherrscht, so
daß ihnen der Gedanke einer GEleichberechtigung dieser „Barbaren“ mit ihnen selbst ferne
liegen mußte. Die Römer aber glaubten sich für die Weltherrschaft bestimmt, konnten
von diesem Standpunkte aus eine grundsätzliche Gleichberechtigung anderer Völker nicht
anerkennen und schlossen daher auch die friedliche Gemeinschaft mit denselben als normalen
Zustand aus. Ee ist daher begreiflich, daß sich im Altertum, in welchem ja für das Völkerrecht
in erster Linie die Griechen und Kömer in Betracht kamen, nur schwache Ansätze einer
Völkerrechtsordnung finden. In der Hauptsache waren nur gewisse Grundsätze über den
Abschluß von Staatsverträgen, über die Stellung der Gesandten und über Milderungen
in der Kriegsführung anerkannt, die von den Griechen und Nömern auch den Barbaren
gegenüber beobachtet wurden?.
1) Ullmann, Völkerrecht (1908) 5 2. — Gareis, Institutionen des Völkerrechts (1888) + 1.— Liszt,
Völkerrecht 1. — Holtzendorff, Handbuch des Völkerrechts Bd. l, 1. — Handduch des Völkerrechts,
herausgegeben von Stier-Somlo, I. Band, erste Abteilung. Grundbegriffe des Völkerrechts von Paul Heil-
born l. Kap.
:) Holtzendorff, a. a. O. I, S. 198ff., 242ff.
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