III. Buch. Völkerrecht. 67
Eleichzeitig haben die Kongreßmächte die wichtige Pariser Seerechtsdeklaration
vom 16. April 1856 vereinbart, eine Vereinbarung, die über die Interessen der Kon-
greßteilnehmer hinausging, weil sie für den Seekrieg Normen fefstsetzte, die bestimmt
waren, allgemeine Anerkennung zu finden. In der Tat sind denn auch im Laufe der
Heit alle irgendwie in Betracht kommenden Staaten derselben beigetreten, so daß man ihre
Bestimmungen gegenwärtig als gemeines Völkerrecht betrachten kann?.
Durch die Seerechtsdeklaration ist zunächst die Kaperei abgeschafft und bezüglich
der Blockade bestimmt worden, daß dieselbe nur dann als rechtsverbindlich gilt, wenn
sie effektio ist, d. h. durch eine Streitmacht aufrecht erhalten wird, die hinreicht, um den
Zugang zur Küste des Feindes wirklich zu verhindern. Außerdem wurde bestimmt,
daß die neutrale Flagge das feindliche Gut mit Ausnahme der Konterbande deckt und
neutrales Gut unter feindlicher Flagge mit Ausnahme der Konterbande nicht mit Be-
schlag belegt werden darf. —
Die Aufnahme der Türkei in die völkerrechtliche Gemeinschaft war für die Ent-
wicklung des Völkerrechts insofern von der größten Bedeutung, als damit der Anfang
gemacht wurde, die völkerrechtliche Gemeinschaft und damit die Geltung des Völker-
rechts selbst womöglich auf alle Staaten der Welt, gleichgültig auf welcher religiösen
Grundlage sie beruhen, auszudehnen, sofern dieselben sich den Normen der Völker--
rechtsordnung unterwerfen.
Ebenso trat im vorigen Zahrhundertteil-
weise anschließend an den Wiener Kon-
greß in bezug auf die Bölkerrechtsquellen eine bedeutsame Entwicklung ein. IZn früheren
Jahrhunderten waren nämlich völkerrechtliche Normen fast ausschließlich auf dem Wege
des Herkommens entstanden, so daß man als Quelle des Völkerrechts nur das Gewohn-
beitsrecht bezeichnen konnte, im vorigen Jahrhundert trat aber als weitere Rechtsquelle
neben das Gewohnheitsrecht in immer größerem Maße der Vertrag. Es kommt hier
in Betracht, daß die internationalen Verträge, wenn sie auch alle in der gleichen Form
abgeschlossen werden, dem Inhalte nach in zwei ganz verschiedene Gruppen zerfallen.
Die eine Gruppe von Verträgen, an welchen stets nur zwei, oder jedenfalls nur einige
wenige Staaten beteiligt sind, haben den Zweck, Rechtsverhältnisse, d. h. Rechte und
Pflichten zwischen den Vertragsteilen zu begründen bzw. zu regeln, dritte Staaten
kommen für solche Verträge nicht in Betracht und können sich denselben mit Rücksicht auf
den Vertragszweck auch nicht einseitig anschließen. Zu diesen Verträgen gehören Handels-
verträge, Konsularverträge, Niederlassungsverträge, Allianzverträge, Friedensschlüsse,
Verträge über Gebietsabtretungen, Grenzberichtigungen, Rechtshilfeverträge, Ausliefe-
rungsverträge usw. Die zweite Gruppe von Verträgen, die man wohl besser Ver-
einbarungen nennen könnte, und die mitunter auch Kollektioverträge genannt werden,
hat dagegen den Zweck, die im Völkerrechte fehlende Gesetzgebung zu ersetzen, in der Weise,
daß in diesen Vereinbarungen Rechtsgrundsätze und Rechteregeln aufgestellt werden,
1) Ullmann, a. a. O. S. 77. — Oie Pariser Seerechtsdeklaration kanmn als der erste erfolgreiche Kodi-
fikationsversuch auf dem Gebiete des Kriegsrechts bezeichnet werden.
Der Vertrag als Völkerrechtsquelle.
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