Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
III. Buch. Vhlkerrecht. 85 
  
solch riesiges Staatswesen eben wegen seines Umfangs und der Vielgestaltigkeit der 
in demselben vereinigten Bölker und Rassen gar nicht regiert und verwaltet werden 
könntet). 
Ebenso undurchführbar ist aber auch der Plan einer Weltföderation, der sich bei 
allen Pazifisten mehr oder minder lar ausgesprochen findet?), wobei es gleichgültig ist, 
ob man sich diese Föderation als Bundesstaat oder als Staatenbund denkt. Daß eine 
derartige Föderation ebensowenig regiert und verwaltet werden könnte, wie ein einheit- 
liches Weltreich, ist La##). Es würden sich aber auch schon der Bildung dieser Föderation 
unübersteigliche Hindernisse in den Weg stellen. 
Wenn für die Ourchführbarkeit der Bildung einer Weltföderation darauf hingewiesen 
wird, daß, wie aus den ehemaligen englischen Kolonien in Nordamerika, aus den Kan- 
tonen der Schweiz und den zeitweilig wenigstens vollständig selbständigen deutschen 
Staaten Bundesstaaten geworden sind, es auch möglich sein müsse, zunächst die euro- 
päischen Staaten, später aber auch die übrigen Mitglieder der völkerrechtlichen Ge- 
meinschaft zu einer Weltföderation zu vereinigen, so sind dabei wesentliche Momente 
übersehen. 
Die Bildung eines Staatenbundes wie eines Bundesstaats setzt voraus, daß die 
betreffenden Staaten durch nationale Zusammengehörigkeit, geographische Lage, ge- 
meinsame politische und wirtschaftliche Interessen aufeinander angewiesen sind, so daß 
das Bundesverhältnis nur die rechtliche Form für die tatsächlich bereits vorhandene Ge- 
meinschaft bildet. Wo nicht ausschließlich oder doch vorwiegend nationale Gründe für 
die Bildung eines Bundesstaates maßgebend waren, werden, wie bei der schweizerischen 
Eidgenossenschaft, die betreffenden Staaten durch jahrhundertlange geschichtliche Ent- 
wicklung, geographische Lage und besondere politische Verhältnisse zusammengehalten. 
Alle diese Voraussetzungen würden bei einer Weltföderation fehlen, es ist daher 
gar nicht denkbar, daß die verschiedenen Rassen und Völker, die zur völkerrechtlichen 
Gemeinschaft gehören, in einer solchen Organisation zusammengefaßt werden könnten. 
Ist doch auch das römische Weltreich, obwohl es nur einen kleinen Teil der damals 
bekannten Welt umfaßte, wieder auseinandergefallen, weil das Selbständigkeits- 
gefühl der in demselben äußerlich verbundenen Nationen der Zusammenfassung wider--- 
strebte. 
Ebenso konnte die im Mittelalter zur Geltung gelangte Zdee, daß die christlichen 
Staaten von Europa eine Universalmonarchie mit Kaiser und Papst an der Spitze bilden, 
niemals vollständig verwirklicht werden und ist schließlich ganz verschwunden. In der 
zweiten Hälfte des Mittelalters haben sich vielmehr die verschiedenen europäischen Na- 
tionen entwickelt und haben voneinander unabhängige Staaten gebildet, die eine Unter- 
1) Vgl. über die ISdee eines Weltstaats: Bluntschli, Die Lehre vom modernen Staat, 6. Aufl. 
S. 26 ff. — Bluntschli hat übrigens selber (später 1878) einen europäischen Staatenbund vorgeschlagen. 
Vgl. Schücking, Die Organisation der Welt, Festgabe für Laband, I. Bd., S. 896. 
2) Vgl. darüber namentlich die in der vorigen Note angeführte Schrift von Schücking, Die Organi- 
sation der Welt, S. 590ff. 
* ) Bezeichnend ist, daß sich bei keinem Vertreter des Föderationsgedankens irgendein brauchbarer 
Vorschlag über die Organisation der Weltföderation findet. 
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