32 Seemacht und Kriegsflotte. W. #uch.
Bedenken bezüglich der Panzerschiffbauten könnten jetzt als überwunden angesehen
werden. Hierfür sprächen sowohl das Beispiel anderer Nationen wie bei uns gemachte
Erfahrungen und eingehende Untersuchungen, beißt es in der betreffenden Denkschrift.
Wir wissen, wie viel damals noch fehlte, um, namentlich in taktischer Beziehung,
den Weg klar zu erkennen, der damit beschritten wurde. Aber der Mut der Uberzeugung
brachte den Erfolg. Die vier Schiffe wurden dem jungen Kaiser bewilligt, der Bann
war gebrochen. "
Die Wiederaufnahme des Flottengedankens, die 1888 allein kaiserlicher Entschliehung
entsprungen ist, hat uns aber nicht nur die vier Schiffe der „Brandenburg“-Klasse ge-
bracht, sie bedeutet in ihrer Weiterentwicklung auch einen Wendepunkt in der deutschen
Politik und eine rechtzeitige Angliederung an den Ubergang, der sich damals in der
Welt vollzog: den Ubergang zur Weltwirtschaft und zur Weltpolitik. Am 285. Jahrestag
der Gründung des Deutschen Reiches wurden vom Kaiser die Worte gesprochen: „Unser
Deutsches Reich ist ein Weltreich geworden!“ Am 18. Oktober 1899 folgte im Hamburg,
dem Hauptplatz deutscher Seeinteressen, der Ausspruch: „Bitter not tut uns eine starke
deutsche Flotte“, der dem Gefühl schwerer Verantwortung dafür Ausdruck gab, diese
immer freier sich entwickelnden friedlichen Elemente deutscher Seemacht noch weiter
ohne wirksamen Schutz zu sehen. Diese Kaiserworte sind zu Marksteinen geworden auf
dem Wege zum Flottengesetz von 1900. Ehe wir ihn weiter mit unserer Schilberung
begleiten, müssen wir aber zunächst erfahren, was in der Zwischenzeit geschehen ist, um
nun wirklich „auf Grund bei uns gemachter Erfahrungen und eingehender Untersuchungen“
zu erkennen, was uns not tue und wie wir die zu bauenden Schiffe gebrauchen wollten.
Der Weg bierzu war nichtleicht zu finden. Auch
in England hat man sich im Zahre 1889 bei einer
später bier noch zu besprechenden großen Flotten-
vermehrung mit Entschiedenheit auf den Grund des Baues großer Panzerschiffe gestellt,
und doch schrieb in demselben Fahre Admiral Colomb, einer der kundigsten englischen See-
offiziere, die Wissenschaft der Seetaktik befände sich immer noch in einem durchaus un-
bestimmten und unbefriedigenden Zustande. Er glaube zwar, daß zweckdienliche Versuche
und daran geknüpfte richtige Folgerungen dazu ausreichen würden, sie schon im Frieden
auf eine durchaus sichere Grundlage zu stellen, müsse aber mit einer gewissen Sorge er-
kennen, mit welcher Gleichgültigkeit die Leiter der englischen Flotte der Sache gegenüber-
ständen. Wenn nun die größte Seemacht der Welt mit ihrem reichen Schiffsmaterial, den
ständigen Indiensthaltungen und mit ihrem altgedienten Personal damit nicht weiter
kann, was sollte bei uns geschehen?
Zwar waren auch in Deutschland schon seit der Zeit des Generals v. Stosch Ubungs-
geschwader in Dienst gewesen, bevor man in anderen Marinen an solche Ubungen dachte,
waren auch Manöver abgehalten worden, die, namentlich unter dem zweiten Chef der
Admiralität, das Bestreben zeigten, der Wirklichkeit des Krieges näher zu kommen. Aber
die kurzen Sommermonate, für die diese Geschwader in Dienst waren, genügten kaum,
um die Schiffsbesatzungen einzufahren und die Manöver, namentlich in der letzten Zeit,
Organisationsveränderungen
und taktische Erprobungen.
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