VI. Buch. Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik. 7
Zukunft vor. Solche können auch für das Fideikommißwesen in der Richtung neuer
Kegelung und Beschränkung beim ländlichen Großgrundbesitz und in umgekehrter Rich-
tung in der Ausgestaltung des bäuerlichen Besitz- und Erbrechtes für die Zukunft kaum
bestritten werden. Der Bauernschutz der friderizianischen Zeit ist seit der Grundbesitz-
freiheit fortgefallen, und so ist es bis jetzt geblieben. Aber damit ist in der Periode des
modernen Großkapitalismus im Gebiet von Industrie, Handel, Geld, Bank- und Börsen-
geschäft und -erwerb wie in England eine Gefahr für Bauernland und Bauernschaft und
damit für den vollends in Deutschland unentbehrlichen Grundstock unserer Bevölkerung
erwachsen, von der sich immer deutlichere Spuren offenbaren. Auch schädliche Neben-
folgen des Agrarschutzzolles für Land- und Volkswirtschaft, für Besitz und soziale Ver-
hältnisse machen sich damit kund. Gegenüber dieser Passivität von Regierung und Volks-
vertretung in der Gesetzgebung taucht bei Weiterblickenden der Gedanke an das alte
videant consules jedenfalls auf. Und mit Recht. Das möchte am Schluß der letzten
25jährigen Periode für Preußen, aber doch auch für das übrige Deutschland (wie vollends
für unser nachbarliches Osterreich) nicht bestritten werden können. Im Deutschen Reich
als Ganzen möchte so auch die Zeit herannahen, wo die einzelstaatliche Partikulargesetz-
gebung auf agrarpolitischen und verwandten Gebieten, im Kreditwesen und in der Kre-
ditpolitik, im Fideikommißwesen durch die Reichsgesetzgebung im nationalen Gesamt-
interesse ersetzt oder wenigstens ergänzt werden müßte. Diese und verwandte Fragen
der, soweit zur Lösung solcher Aufgaben erforderlich, Erweiterung der Reichskompetenz
sind aus dem Gesichtskreis unserer Staatsmänner, Parlamentarier und selbst unserer
Theoretiker zu sehr zurückgetreten oder mindestens in diesen Gesichtskreis noch zu wenig
bineingetreten.
Was sonst noch die agrarischen Verhältnisse im letzten Menschenalter anlangt, hängt
mit der Entwicklung der allgemeinen Gesetzgebung über Verkehre-, Geld-, Kredit- und
Bankwesen, Gewerbe und Handel usw. zusammen.
#nderimmeren Gewerbe- und Handels-
politik war der Norddeutsche Bund
und das Deutsche Reich im wesentlichen der preußischen Gesetzgebung aus der Zeit nach
1806 gefolgt. Dadurch war der leitende Grundsatz der Gewerbefreiheit zur Anerkennung
gelangt. Die Rückschritte auf diesem Gebiete, welche in Preußen besonders 1845 und
18409 erfolgt waren, waren dabei, zum Teil unter Einfluß der in manchen anderen deutschen
Staaten schon kurz vor 1866 ebenfalls eingebürgerten Gewerbefreiheit, wieder beseitigt
worden. Durch Ausdehnung der gewerbefreiheitlichen und der damit sonst in näherer
Verbindung stehenden Gesetzgebung über persönliche und gewerbliche Freizügigkeit,
Sheschließungefreiheit usw. auf das ganze norddeutsche und spätere Reichsgebiet — nur
in einzelnen Punkten mit Ausnahme Baperns — war so aus dem Reichsgebiete bzw.
aus dem des Zollvereins ein großes, einheitliches Wirtschafts- und Marktgebiet, um-
sponnen von dem gemeinsamen Grenzzollnetz der Finanz- und Schutzzölle, gebildet
worden. Dadurch war gerade in wirtschaftlicher Beziehung ein großer Fortschritt
über die Zollvereinsperiode vor 1866 herbeigeführt. Durch die Ausdehnung des Zoll-
Znnere Gewerbe- und Handelspolitik.
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