Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
8 Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik. VI. Buch. 
  
vereinsgebietes über Mecklenburg und Schleswig-Holstein, wenn auch erst später auf 
die Hansastädte, war das Zollvereinsgebiet auch mit dem Reichsgebiet im wesentlichen 
identisch geworden, wobei erfreulicherweise hier wenigstens der verbliebene Rest des 
alten deutschen Landes Luxemburg im Zollverein geblieben war. So ist das Reichs- 
und Zollgebiet nicht nur erheblich vergrößert, sondern auch besser arrondiert worden, 
was für Volkswirtschaft und Finanzen wichtig war. Durch die Gewerbeordnung von 
1869, deren allmähliche Einführung nach 1870 auch in den süddeutschen Staaten, erst 
zuletzt auch im Reichsland Elsaß-Lothringen erfolgte, war so zum erstenmal in Deutsch-- 
land eine einheitliche, gleichmäßige Gesetzgebung über inneres Gewerbe- und Handels- 
wesen eingetreten, die Voraussetzung einer einheitlichen Entwicklung der ganzen deutschen 
Volkswirtschaft. Die etwas zu radikal-wirtschaftsfreiheitliche Gestaltung dieser Gewerbe- 
ordnung ist zwar bald nach ihrem Erlaß schon in der Reichszeit bis 1888 in manchen Punk- 
ten wieder modifiziert worden, aber hat doch im wesentlichen ihren Grundcharakter 
behauptet. In nachbarlich verwandten Rechtsgebieten, namentlich auf dem immer 
wichtiger werdenden Gebiet des Aktien-Gesellschaftsrechts, war durch eine Novelle von 
1870 unter Beseitigung des Zwangs zur Individualkonzession, schon wegen der bloßen 
Rechtsform der Unternehmungen, der Ubergang zu einem allerdings wesentlich bald 
als zu lax befundenen Syfstem bloßer Normatiobedingungen eingetreten, der dem Grün- 
dungsschwindel unmittelbar nach dem Siege über Frankreich die Zügel so weit schießen 
ließ. Aber auch darin war bereits 1884 immerhin eine Modifikation und Beschränkung 
erfolgt. Die einheitliche Gewerbeordnung, das Freizügigkeits- und sehr erleichterte 
Niederlassungsrecht, die endlich nach Zahrhunderten wiedererreichte Geld-, Währungs- 
und Münzeinheit, die tiefgreifende Reform des Notenbankwesens, vor allem die Er- 
hebung der Preußischen Bank zur Reichsbank und die großartige Entwicklung der letz- 
teren, die Entwicklung des inneren Verkehrs- und Transportwesens, das Post- und Tele- 
graphenwesen, trotz der in den Versailler Verträgen an Bayern und Württemberg ge- 
währten Selbständigkeit, und die großartige Entwicklung des Eisenbahnwesens, bei dem 
zwar der bedeutende und folgerichtige Bismarcksche Gedanke eines Reichsbahnnetzes dank 
dem mittelstaatlichen Partikularismus nicht ausgeführt wurde, aber doch die einzelnen 
Staatsbahnnetze, vor allem das stark ausgedehnte preußische, diesem wichtigsten modernen 
Verkehrszweig fast ganz für Preußen und großenteils doch auch für das übrige Deutschland 
eine einheitliche Gestaltung gaben, — dies alles waren Errungenschaften von größter 
Tragweite für die deutsche Volkswirtschaft. Die durch die Gesetzgebung begünstigte 
Entwicklung des sonstigen Bank- und Börsenwesens, alle diese und weitere damit zusam- 
menhängende Vorgänge, haben dann den gewaltigen Aufschwung der deutschen Volks- 
wirtschaft in Gewerbe, Handel, Bergbau, im Großbetrieb, im Maschinenwesen und in der 
damit verbundenen methodischen Ausnützung der naturwissenschaftlich fundamentierten 
technischen Fortschritte zuwege gebracht und das innere Zusammenwachsen des deutschen 
Wirtschaftslebens über die Grenzen der Einzelstaaten, selbst Preußens hinaus, bedeutend 
gefördert. Das war schon in den ersten zwei Jahrzehnten des neuen Deutschen Reiches 
bis zu Kaiser Wilhelme I. Tode und bis zu Bismarcks Ausscheiden aus dem Reichs- und 
Staatsdienst erreicht. Damit war die Grundlage für die noch weitere und höhere Ent- 
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