Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
VI. Buch. Die Maschinen-Industrie. 109 
  
die Straßenlokomotive desselben dahin, während das moderne Kraftfahrzeug mit einem 
leichten raschlaufenden Motor an ihm vorbeifliegt. In diesem Sondergebiete fehlt die 
Hand des wissenschaftlich gebildeten Ingenieurs, der Nur-Praktiker beherrscht das Feld, 
in früheren Zahren mit Recht, heute kann er dem raschen Fortschritte nicht mehr folgen. 
Was von den technischen und landwirtschaftlichen Hochschulen hierin geleistet wird, ist 
mehr technologisch beschreibender, statt konstruktiv schaffender Natur. Dagegen sind die 
leichteren Geräte und Maschinen, allerdings auch wieder durch das Beispiel des Aus- 
landes, zu sehr eleganten Ausführungen gediehen. Den gesteigerten Anforderungen an 
den Boden und seine Bewirtschaftung scheinen unsere heutigen Maschinen in Anbetracht 
der wechselreichen Witterung unserer Breitengrade nicht mehr ganz gewachsen zu sein. 
Die Maschinen mühssen rascher arbeiten, damit die in genossenschaftlichem Besitz befind- 
lichen Maschinen in kürzerer Zeit allen Genossen zur Verfügung gestellt werden können. 
Schlußwort. Noch viele Einzel-Zweige der Maschinen-Industrie würden wir 
nenmen können, denen in den letzten fünfundzwanzig Jahren die 
Wohltat des langen Friedens und die, durch eine ruhige Politik ermöglichte Be- 
schränkung der wirtschaftlichen Schwankungen zu einer raschen Entwicklung ver- 
holfen haben. Wenn in den obigen Aufzählungen da und dort Kritik geübt wurde, 
so geschah es nicht, um den betreffenden Zweig in ein ungünstiges Licht zu setzen, 
sondern um zu zeigen, daß allenthalben noch Raum und Gelegenheit ist zur Entfaltung 
von Fähigkeiten, zur Freude an der Arbeit für den Fortschritt und am Wagnis in 
neuen Arbeitsgebieten. Indes ruft jede rasche Entfaltung gewisse unästhetische oder 
schädliche, vielleicht sogar gefährliche Begleiterscheinungen hervor. Wir mücssen 
dieselben zu erkennen suchen, und müssen den Mut haben, sie uns ehrlich zu gestehen 
und auf sie hinzuweisen. 
Die Meister der Ingenieur-Kunst sind es, die uns neue Wege zeigen und frei 
machen, meist jahrelang verkannt, weil auch sie, als Menschen der Beschränkung der 
menschlichen Erkenntnis unterworfen, tastend das Richtige suchen müssen, beftig be- 
kämpft von denen, welche glauben, ihr materielles Interesse durch Festhalten an Ver- 
altetem wahren zu müssen, umjohlt von dem Gelächter der kleineren Geister, die außer-- 
stande sind, einen eigenen Weg zu gehen und anfängliche Mißerfolge als Beweis für 
die Unrichtigkeit des neuen Weges ansehen. Und wer wird dem Meister gerecht, wenn 
seine Arbeitskraft vor dem Ziele aussetzt, und andere, die Pionierarbeit des Meisters 
nützend, das Werk vollenden und den klingenden Erfolg desselben und die, meist nicht 
der Pionierarbeit, sondern dem äußeren Erfolge anhaftenden, Ehrungen einheimsen. 
Den in der allerersten Entwicklung begriffenen, nicht leichthin als fruchtbar zu er- 
kennenden Ideen sind leider auch vielfach unsere großen technisch -wissenschaftlichen 
Vereine eher ein Hemmschuh, als eine Förderung gewesen. Man darf dies aussprechen, 
ohne die großen Verdienste dieser Vereine um die technische Wissenschaft zu verkennen. 
Dem stillen Heldentum des Ingenieurs im täglichen Kleinkampfe gegen den Wider- 
stand der Materie und gegen die, in der Beschränkung der menschlichen Erkenntnis und 
Arbeitskraft begründeten äußern und wirtschaftlichen Gefahren entsprechen einfache 
  
557
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.