Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
110 Die Maschinen- Induftrie. VI. Buch. 
  
Lebenssitten. So wuünschenswert und nützlich die Entfaltung äußeren Glanzes bei 
besonderen Anlässen sein mag, die Ingenieure als Teil der geistigen Führerschaft des 
Volkes müssen zeigen, daß der rein äußerliche Lebensgenuß die Bestrebungen der 
Technik, die Arbeitskraft der Menschheit von Stufe zu Stufe höheren Aufgaben zuzu- 
führen, durchkreuzt. Es bedarf der unerbittlichen und ehrlichen Selbstprüfung, ob wir 
hierin immer unsere volle Pflicht getan haben. 
Wir haben erkannt, daß wir die Grundzüge der mit uns zusammenarbeitenden 
Berufsarten beherrschen müssen. Bielfach müssen wir Zweige derselben in unsere 
tägliche Tätigkeit verpflanzen, ab und zu wird sogar ein allseitig veranlagter Mann 
durch die Entwicklung seiner Geschäfte von einem Beruf in den andern binübergezogen. 
Indem wir uns nun frühzeitig über die Aufgaben der uns nahetretenden Berufearten 
unterrichten, kommen wir in die Gefahr, die Schwierigkeiten derselben zu verkennen 
und unser Wissen und Können zu überschätzen. Der Ingenieur glaubt allzufrüh den 
Rat des Zuristen und des Kaufmanns entbehren zu können, der Kaufmann verdirbt die 
Organisation der Werkstätte, der Jurifst schließt unerfüllbare Verträge auf technische 
Lieferungen ab, der auf der Militärtechnischen Hochschule notdürftig orientierte Offizier 
fübrt das ihm anvertraute Luftschiff der Vernichtung entgegen. Es fehlt der, nur 
aus einer gründlichen Vorbildung und dem jahrelangen gewohnheitsmäßigen Umgang 
mit den Berufsaufgaben erwachsende Spürsinn für verborgene und mit neuen 
Wagnissen neuentstehende Schwierigkeiten und Gefahren. 
Die Aufgaben des Berufes, der Selbsterkenntnis, der Organisation sind somit durch 
die Technik nicht geringer geworden, sondern nach Zahl, Größe und Schwierigkeit ge- 
wachsen. Ihre Bewältigung ist eine Funktion der Zeit und der störungsfreien Ent- 
wicklung. Wenn wir uns zu diesem Zweck die Fortdauer friedlicher Zeiten wünschen, 
so können wir andernteils einem mit Gut und Blut und den technischen Hilfsmitteln 
des Landes abzuwehrenden Ansturm auf unsere deutsche Kultur ohne Besorgnis ent- 
gegensehen. Ein Volk, bei dem fast alle Betätigungen des Lebens eine so kräftige Ent- 
wicklung nach aufwärts aufweisen, ist in seinem Kern gesund. Eine von außen aufge- 
drängte Kraftprobe kann schlimmstenfalls zu einer vorübergehenden Niederlage, nicht 
aber zur Vernichtung führen, das Aufleben nationalen Bewußtseins im deutschen Volke 
läßt aber darauf schließen, daß wir jeden Ansturm überwinden werden. 
  
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