Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
VI. Luch. Die chemische Zndustrie. 133 
  
Solche Erfolge konnten nur aufblühen in den langen Jahren des Friedens, welcher 
uns beschieden war unter dem Schutz und der Fürsorge, deren Handel und Gewerbe, 
Kunst und Wissenschaft sich zu erfreuen hatten. 
Die rasche Verbreitung neuer wissenschaftlicher Errungenschaften durch Literatur 
und namentlich auch durch Patentliteratur wurde ein großes Hilfsmittel unserer Zeit. 
Heutschland jetzt in Konkurrenz So ist es denn auch gekommen, daß Deutsch- 
mit älteren Industrieländern. land, welches früher Erzeugnisse der chemischen 
Industrie meistens von auswärts zu beziehen 
genötigt war, nunmehr auch in lebhafte Konkurrenz mit den älteren Industrieländern 
England und Frankreich getreten ist und diese in mancher Beziehung längst über- 
flügelt hat. 
Oieses ergibt sich aus folgender Zusammenstellung: Deutschland führte im 
Jahre 1888 zirka 860 000 Tonnen chemische Rohstoffe im Werte von 143 Mill. Mark 
ein und 304 000 Tonnen Rohstoffe im Werte von 28 Mill. Mark aus. Zn demselben Jahre 
wurden 195 000 Tonnen fertige chemische Fabrikate im Werte von 100 Mill. Mark ein- 
geführt und 409 000 Tonnen Fabrikate im Werte von 208 Mill. Mark ausgeführt. 
Im Jahre 1912 betrug die Einfuhr an chemischen Produkten 1,93 Mill. Tonnen 
im Werte von 417 Mill. Nark, die Ausfuhr 4,16 Mill. Tonnen im Werte von 
825 Mill. Mark. 
  
  
Anorganische chemische Großindustrie. Von den einzelnen Zweigen der 
chemischen Industrie tritt zunächst die 
anorganische chemische Großindustrie in den Vordergrund, welche den Namen davon 
hat, daß sie durch den Umfang und die Größe ihrer Hauptbetriebe, in welcher vor- 
zugsweise anorganische Säuren, Alkalien und Salze gewonnen werden, besonders 
imponiert. 
  
Hie Schwefelfäure. Hiervon ist es in erster Linie die Schwefelsäure, auf deren 
Fabrikation die ganze chemische Industrie sich auf- 
baut, und welche eine ebenso wichtige Rolle darin spielt wie der Koks in der Me- 
tallurgie oder der Kalk im Baugewerbe. 
Zedenfalls ist sie auch dasjenige chemische Präparat, welches im größten Maßstabe 
fabriziert wird, denn man schätzt die heutige jährliche Weltproduktion auf 5 Mill. Tonnen, 
also auf 5000 Mill. Kilo. Davon ist Nordamerika mit 1,5 Mill. Tonnen, Deutschland 
mit 1,3 Mill., England mit 1 Mill., Frankreich mit ½ Mill. Tonnen beteiligt. ÖOsterreich 
und Btalien fabrizieren je 200 000 Tonnen, Belgien 165 000 Tonnen, Rußland 125 000 
Tonnen und Japan 50 000 Tonnen. 
Die Hauptmenge dieser gewaltigen Produktion wird in der Fabrikation von künst- 
lichen Düngern verbraucht und kommt der Landwirtschaft zugut. In Deutschland dienen 
allein für diesen Zweck 800 000 Tonnen, wovon 600 000 Tonnen für die Herstellung von 
Superphosphaten und 200 000 Tonnen zur Gewinnung von schwefelsaurem 
  
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