VI. Buch. Oie chemische Industrie. 135
ware von 66 Grad der große Fortschritt zu verzeichnen, daß man die sehr teuren Platin-
apparate zur Konzentration nicht mehr braucht. Denn mit Hilfe der rauchenden oder Kon-
taktschwefelsäure kann man viel billiger als früher Schwefelsäure von jeder Stärke herstellen.
Während die Fabrikation der englischen Schwefel-
säure nach dem Bleikammersostem bis vor nicht lan-
ger Zeit so ausgearbeitet war, daß sie nahezu theoretische Ausbeuten lieferte und
keiner Verbesserung und Verbilligung weiter zu bedürfen schien, hat sich vor längerer
Zeit zunächst in aller Stille ein Konkurrent aufgetan, welcher von Tag zu Tag ernster
zu nehmen ist und das alte bewährte Verfahren ganz zu beseitigen droht.
Dieser Konkurrent ist die oben erwähnte rauchende Schwefelsäure, auch Kon-
taktschwefelsäure oder Oleum genannt.
Das Produkt als solches ist nicht neu; es ist vielmehr die älteste Form der Schwefel-
säure, welche schon lange vor der englischen Säure durch Oestillation von Vitriol und
Alaun in Thüringen hergestellt und, weil von Nordhausen aus verschickt, als Nordhäuser
Bittriolöl in den Handel kam.
Oiee Verbindung soll der arabische Alchimist Geber schon gegen 700 aus Eisen-
vitriol durch Destillation erhalten haben.
Während des Dreißigjährigen Krieges ging diese Industrie in Thüringen ein und
wurde erst Ende des achtzehnten Jahrhunderts in Böhmen in der Nähe von Pilsen wieder
ins Leben gerufen.
Oort ist sie in den Starckschen Werken bis vor 15 Zahren in größerem Maßstabe aus-
geübt worden.
Heute ist die Darstellung der rauchenden Schwefelsäure aus Vitriol vollständig auf-
gegeben, weil inzwischen die nach dem Wincklerschen Verfahren erhaltene Kontakt-
schwefelsäure so leicht darstellbar und so billig geworden ist, daß sie in absehbarer Zeit auch
die englische Schwefelsäure aus dem Felde schlagen dürfte. Schon jetzt rechnet man,
daß in Deutschland allein 400 O00 Tonnen Kontaktsäure fabriziert werden.
Rauchende Schwefelsäure.
Bedarf der Teer- Oie steigende Produktion dieser Säure ist besonders durch
farbstoff-Fabriken. den immer größer werdenden Bedarf der Teerfarbstoffabriken
veranlaßt worden.
Zunächst war es die Herstellung des künstlichen Alizarins, welche, Anfang der
siebziger Jahre vorigen Jahrhunderts in größerem Maßstabe begonmen, jährlich steigende
Mengen davon benötigte. Jedoch konnten diese lange Zeit in dem Vitriolöl geliefert
werden.
Als jedoch vor etwa 20 Jahren die Herstellung des künstlichen Indigos von Seiten
der Badischen Anilin- und Soda-Fabrik größere Mengen der Säure benötigte, wurde
dort das bereits bekannte Kontaktverfahren von Clemens Winkler durch den genialen
Chemiker Knietsch ausgearbeitet und in den Betrieb eingeführt. Das Winklersche Ver-
fahren beruht auf der Vereinigung von schwefliger Säure und Luftsauerstoff durch Ver-
mittelung einer Kontaktsubstanz, welche gewöhnlich auf Asbest fein verteiltes Platin ist.
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