Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
VI. Buch. ODie chemische Industrie. 141 
  
Die beiden Hauptbestandteile unserer Atmosphäre, Sauerstoff und Stickstoff, spielen, 
nachdem man sie erst vor nicht langer Zeit im Großen voneinander zu trennen und einzeln 
zu verwenden gelernt hat, in verschiedenen Industrien eine sehr große Rolle. 
Der Sauerstoff (flüssige Luft, oder elektrolptisch neben Wasserstoff hergestellt) dient 
in der Eisenindustrie zum Offnen durch Eisen verstopfter Stichlöcher bei Hochöfen, mit 
Wasserstoff (Knallgas), Leuchtgas, Azetylen oder Blaugas (komprimiertes Olgas) zu- 
sammen als Erzeuger sehr heißer Stichflammen, um einzelne Eisenstücke auseinander--- 
zuschneiden oder mehrere Eisenstücke mittels geschmolzenen Eisens aneinander zu löten 
(schweißen). Auch in der neueren Industrie der künstlichen Nubine und Saphire und 
anderer im großen hergestellter, mit den natürlichen vollständig identischer Edelsteine 
wird Sauerstoff im Berein mit Wasserstoff in größerem Maßstabe benutzt. 
Stickstoff wird heute besonders für die Herstellung von Kallkstickstoff verwendet, 
welcher entsteht, wenn man Kalziumkarbid bei einer Temperatur von 10000 mit Stick- 
stoff behandelt. Der Kalkstickstoff kann direkt in der Landwirtschaft verwendet werden; 
es ist jedoch besser, ihn mit überhitztem Wasserdampf in Ammoniak umzuwandeln und 
dieses mit Schwefelsäure neutralisiert in die übliche Handelsform des schwefelsauren 
Ammoniaks zu bringen. 
Dasselbe, was soeben von dem Sauerstoff und Stickstoff gesagt wurde, nämlich, 
daß eine eigentliche Induftrie dieser Gase kaum 20 ZJahre alt ist, gilt ebenso von dem 
Wasserstoff. Man stellte dieses Element wohl im Laboratorium und gelegentlich für 
Luftballonfahrten her, aber von einer dauernden Fabrikation in größerem Maßstabe ist 
erst seit dem Zahre 1898 die Rede, als die TChemische Fabrik Griesheim-Elektron den bei 
der Elektrolpse von Chloralkalien erhaltenen Wasserstoff auffing und in Stahlflaschen 
aus Manne#smannrohr komprimiert in den Handel brachte. Heute erzeugt diese Fabrik 
in ihren Werken Griesheim, Bitterfeld und Rheinfelden täglich zirka 2000 Kubikmeter 
Wasserstoff, größere Mengen werden ferner in Gersthofen am Lech, den Höchster Farb- 
werken gehörig, und in Weißig a'E., einer Filiale der Chemischen Fabrik von Heyden in 
Radebeul bei Dresden, ebenfalls durch Elektrolpse gewonnen. 
Die genannten Fabriken sind Füllorte für Luftballons und Luftschiffe oder 
liefern den Wasserstoff komprimiert. 
Die alte Methode, das Gas aus Eisen oder Zink und Schwefelsäure oder Salzsäure 
herzustellen, kommt bei größerem Bedarf an diesem Gase in Deutschland wohl kaum mehr 
zur Anwendung. Ein zweites im Jahre 1794 von Coutelle erfundenes Verfahren, 
Wasserstoff durch Zersetzung von Wasser mit Eisen herzustellen, ist neuerdings dadurch 
verbessert worden, daß man Eisenspäne unter Zusatz von Kochsalz und Kupfer unter 
Wasser in einem Autoklaven aus Stahl bis auf 300° erhitzt. Man erhält dann fast reines 
Wasserstoffgas, welches nur 4—7 Pfennige per Kubikmeter kostet. 
Ferner wird Wasserstoff neuerdings durch starke Abkühlung des aus gleichen Teilen 
Wasserstoff und Kohlenorwpd bestehenden Wassergases in einer Luftverflüssigungsmaschine 
bergestellt. Dabei verflüssigt sich das bei — 1920 siedende Kohlenoxyd, während der 
erst bei — 2530° flüssige Wasserstoff gasförmig bleibt. Das Kohlenoxpyd ist brennbar und 
dient zum Antrieb der Luftverflüssigungsmaschine. Auch der nach diesem Verfahren 
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