142 Hie chemische Industrie. VI. Buch.
erhaltene Wasserstoff ist bis auf einen geringen Gehalt an Stickstoff (0,4—0,8 Proz.)
rein; er besitzt das spezifische Gewicht 0,77 und kostet 11—14 Pfennige pro Kubikmeter.
Noch etwas billiger ist ein anderes ebenfalls vom Wassergas ausgehendes Verfahren
zu stehen, das darin besteht, daß man dieses Gas über mit etwas Eisen versetzten Atzkalk
leitet, wobei kohlensaurer Kalk und Wasserstoff sich bildet. Der Kubikmeter des so er-
haltenen Wasserstoffes kostet nur 6 Pfennige.
Andere Verfahren, welche von A#zetylen, Olgas oder Steinkohlengas ausgehen,
arbeiten in der Weise, daß sie die darin enthaltenen Kohlenwasserstoffe durch starke
Hitze oder elektrische Funken zerlegen, wobei gleichzeitig Ruß erhalten wird.
Für transportable Anlagen, also auch für militärische Zwecke, zum Füllen von
Luftballons oder Luftschiffen, welche Wasserstoff von stehenden Anlagen oder aus nach-
geführten Stahlzylindern nicht entnehmen könmen, eignen sich außer dem alten Ver-
fahren, welches auf der Einwirkung von Eisen oder Zink auf Säuren beruht, noch die
Behandlung von Natronlauge mit Aluminium, Silicium oder Ferrosilicium, welche
sämtlich viel teurer als die oben besprochenen Verfahren sind. Auch das Kalziumhydrid
ist neuerdings zur Verwendung gekommen. Der aus ihm hergestellte Wasserstoff kommt
auf 4 M. pro Kubikmeter zu stehen.
Organische chemische Wenn man früher und bisweilen irrtümlicherweise noch
Industrie. heute unter der chemischen Großindustrie nur die an-
— organischen Zweige zusammenfaßt, so entspricht dieses
nicht mehr den Tatsachen, da sich allmählich die organische Industrie und besonders
seit dem letzten Menschenalter immer mehr und mehr entwickelt und der älteren
Schwester ebenbürtig an die Seite gestellt hat. Es muß sogar noch besonders hervorgehoben
werden, daß sie dabei nicht selten fördernd und umgestaltend in die anorganischen Verfah-
ren eingegriffen hat, da sie die anorganischen Präparate für eigene Betriebe benötigt.
Geht man im einzelnen den Erfolgen nach, welche die organische chemische Indu-
strie in den letzten 25 Fahren zu verzeichnen hat, so wird man sich wohl zunächst der Teer-
farbenfabrikation zuwenden, welche von allen Zweigen dieser Industrie der größte
und gerade auch für die deutschen Verhältnisse der bemerkenswerteste ist.
Ursprünglich in England im Zahre 1856 durch Perkin und 1868 in Frankreich
durch Verguin entstanden, ist diese Industrie vor 50 Fahren in Deutschland aufgenommen
und hat sich dort aus kleinen Anfängen bald zur heutigen großartigen Blüte entwickelt.
Das Ausgangematerial für die Teerfarbstoffe ist der aus den
Kokereien und Leuchtgasfabriken stammende Steinkohlen-
teer. Dieser wird in heute zum Teil musterhaft eingerichteter Teerdestillation zu-
nächst in die farblosen Kohlenwasserstoffe Benzol, Toluol, Aplol, Naphthalin und
Anthrazen, ferner in Karbolsäure, Karbazol, schwere Ole für Holzimprägnation und
das als Rückstand bleibende Pech gespalten.
Während vor 25 ZJahren Deutschland genötigt war, die für seine Farbenfabrikation
nötigen Bestandteile des Steinkohlenteers aus dem Auslande, namentlich aus England
Steinkohlenteer.
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