Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
144 Oie chemische Industrie. VI. Buch. 
wird dahin gestrebt, diesen Körper auf einem anderen Wege perzustellen. So ist denn 
die Zahl der Farbstoffpatente einschließlich der Rohmaterialien eine ganz enorme und 
beträgt unter den bis heute überhaupt erteilten ca. 267000 deutschen Patenten nicht 
weniger als an 20 000. 
Baumwollenfarbstoffe. Unter denjenigen Teerfarbstoffen, welche in dem letz- 
ten Bierteljahrhundert eine besondere Bedeutung er- 
langt haben, ist zunächst die Klasse der substantiven Baumwollfarbstoffe zu er- 
wähnen, welche die Eigenschaft besitzen, Baumwolle und Leinen direkt ohne Beize 
zu färben. Zn dieser Zeit haben sich weiter eine große Anzahl von schönen und 
echten Anthrazenfarbstoffen an das bereits bekannte Alizarin und dessen Abkömmlinge, 
gereiht, wie die sauer färbenden Anthrazenabkömmlinge und das schön blaue 
Indanthren. Ferner wurden eine große Anzahl von in Wasser unlöslichen Azofarb- 
stoffen, welche teils auf der Faser, teils als Pigmentfarben Verwendung finden, er- 
funden. Bemerkenswert war die Klasse der Schwefelfarben, welche eine Fundgrube 
für echte schwarze und blaue echte Farbstoffe war, von welchen besonders das billige 
Schwefelschwarz und das schöne Hpydronblau zu erwähnen sind. 
  
Knstlicher Zndigo. Ein Triumph der Teerfarbenindustrie der letzten 25 Jahre 
ist jedoch in erster Linie die nach vielen vergeblichen Ver- 
suchen endlich gelungene Auffindung von Verfahren, den Indigo, den am meisten 
gebrauchten organischen Farbstoff, fabrikmäßig herzustellen. 
Bekanntlich hat nach der Eröffnung des Seewegs nach Ostindien der in vielen 
tropischen Ländern, namentlich in Ostindien erzeugte Indigo nach und nach den deut- 
schen, aus der Waidpflanze besonders in Thüringen gewonnenen Indigo verdrängt. 
Noch im Jahre 1888 betrug der Verbrauch an natürlichem Indigo in Deutschland 
1180 Tonnen im Werte von 17 Mill. Mark. 
Schon in der Mitte des vorigen Jahrhunderts hat sich die Wissenschaft vielfach 
mit diesem wichtigsten aller Farbstoffe beschäftigt, aber erst vor etwa 30 Jahren 
gelang es Adolf Baeper, ihn künstlich herzustellen. Technisch wurde er zuerst von der 
Badischen Anilin- und Soda-Fabrik nach einem von Heumann (1897) erfundenen Ver- 
fahren fabriziert. Diese Firma und die Höchster Farbwerke sind heute die Hauptprodu- 
zenten des ohne Beihilfe der Pflanze erzeugten Indigos. Die Ausgangsmaterialien 
dafür sind die aus dem Steinkohlenteer stammenden farblosen Kohlenwasserstoffe: 
Naphthalin und Benzol. Hieraus werden täglich über 20 Tonnen künstlicher Indigo 
hergestellt. 
Eine Hauptausfuhr von Deutschland findet heute besonders auch nach denjenigen 
Ländern statt, in welchen Pflanzenindigo früher am meisten hergestellt und verwendet 
wurde, nach Ostindien und nach China. Für das Jahr 1912 wird der Wert dieser Aus- 
fuhr mit über 45 Mill. Mark angegeben. Demgegenüber ist die Einfuhr des natürlichen 
Indigos nur noch klein und wird wohl bald ganz aufhören. Sie betrug im vorigen Jahr 
an Wert etwa eine halbe Million Mark. 
  
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