152 Cextilindustrie. VI. Buch.
des Kalanderglanzes auf mercerisierten Geweben, während der Speck= oder Spiegel-
glanz möglichst vermieden werden soll. Den ersten Weg zur Erreichung dieses Zieles
zeigte Dr. L. Schreiner in Barmen im Fahre 1894, indem er die Kalanderwalzen mit
einer besonderen Gravierung versah. Ourch letztere werden an Stelle der zusammen
hängenden Fläche winzig kleine und mit dem bloßen Auge nicht mehr wahrnehmbare
einzelne Flächen auf den Stoff gepreßt. Die einheitliche Fläche des Speck- und
Spiegelglanzes ist also gewissermaßen in zahllose kleine, winkelig zueinander stehende
Flächen zerlegt. Da hierdurch alle diese Flächen dem Lichte gegenüber eine ver-
schiedene Richtung haben, werden je nachdem, wie man den Stoff hält, stets einzelne
der Flächen das Licht dem Auge des Beschauers reflektieren und eine spiegelnde
Flächenwirkung ausüben, während andere dicht danebenliegende Flächen dunkel er-
scheinen und das Licht erst bei einem anderen Einfallswinkel reflektieren. Der Erfolg
dieses Verfahrens war ein ganz überraschender. An Stelle des zu verwerfenden Speck-
oder Spiegelglanzes erhielt man einen außerordentlich schönen, dem Glanz der Seide
täuschend ähnlichen Kalanderglanz auf einer Seite des Gewebes. Man bezeichnet diesen
Glanz Heute allgemein als Seidenfinish. Leider erwies sich dieser Glanz in der
ersten Zeit nicht als ein dauernder. Geringes Waschen und Spülen wie überhaupt
Feuchtigkeit und feuchtes Bügeln hoben ihn wieder auf und das Gewebe wurde glanz-
los, genau wie dies bei dem gewöhnlichen Speck- oder Spiegelglanz der Fall ist. Karl
Rumpf gelang es, diesen AUbelstand zu beseitigen. Er entdeckte, daß die Baumwolle
bei sehr hoher Temperatur und Gegenwart von Feuchtigkeit gewissermaßen plastische
Eigenschaften bekommt und diejenige Form dauernd beibehält, die man ihr unter diesen
Bedingungen verliehen hat.
Fortschritte der Färberei. Mit der beispiellosen Entwicklung der chemischen
Wissenschaft und Technik hat auch die Färberei
in den letzten 25 Zahren einen ganz ungeahnten Aufschwung genommen. Oie un-
mittelbar der Natur, z. B. den Farbhölzern, der Indigo-, der Krappflanze usw., ent-
nommenen natürlichen Farbstoffe wurden immer mehr durch die vom Chemiker auf
experimentellem Wege erzeugten künstlichen Farbstoffe ersetzt. Leder neue Farbstoff,
dessen Herstellung der Chemie gelang, wurde sofort in der Färberei daraufhin geprüft,
ob er für die Prazis billig genug ist und gegenüber den bisherigen eine schönere und
echtere Nuance ergibt. Der erste künstliche Farbstoff wurde im Jahre 1858 von dem
Engländer Perking aus dem Steinkohlenteer dargestellt. Trotz des englischen Ur-
sprungs hat sich die Farbstoffindustrie vor allem in Deutschland entwickelt und es
wird heute von hier aus die ganze zivilisierte Welt mit Farbstoffen versorgt. Die in
der ersten Zeit künstlich hergestellten Teerfarbstoffe zeichneten sich wohl durch eine
ganz hervorragend schöne und lebhafte Auance, dabei aber auch durch große Unecht-
heit ihrer Färbungen aus, und man verstand es namentlich nicht, gute Färbungen auf
Baumwolle herzustellen. Aus diesem Grunde wurde die Industrie mit der Verwen-
dung der sogenannten Anilinfarben schwer enttäuscht. Man übersah vollständig, daß
die meisten der bekannten natürlichen Farbstoffe, abgesehen von dem aus der Indigo-
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