VI. Buch. Cextilindustrie. 150
die deutsche Fabrikation im Laufe der Zeit so verbessert worden, daß sie heute durch-
aus auf gleicher Höhe mit der englischen steht. Von vielen Fachleuten wird sogar be-
hauptet, daß England in mancher Beziehung nicht fortgeschritten und daher von
Deutschland überholt worden sei. Das gelte namentlich in bezug auf die Spinnerei
und die Zurüstung der Stoffe. Zedenfalls zeigt eine nähere Prüfung im einzelnen,
daß viele Fortschritte und Verbesserungen auf deutsche Erfinder und deutsche IZn-
dustrielle zurückzuführen sind.
Einen wichtigen Bestandteil der Wollspinnerei bildet die Kunstwollindustrie.
Der verächtliche Klang, den dieser Name hatte, ist mehr und mehr geschwunden, nachdem
man erkannt hat, welche wichtige Rolle dieses Material auf dem Markte spielt. Ohne
Kunstwolle wäre es nie möglich gewesen, auch den wenigen bemittelten Leuten Woll-
sachen mit ihren großen Vorzügen zugänglich zu machen. Ohne Kunstwolle wären
die Preise für Schurwolle bei dem Mangel an diesem Material bedeutend höher ge-
stiegen, wie es schon der Fall ist. Ohne Kunstwolle hätte die Baumwolle der Schurwolle
eine noch größere Konkurrenz wie bisher gemacht. Bei dem Vorurteil gegen die Kunst-
wolle ist zu berücksichtigen, daß es sich gar nicht um ein Kunstprodukt, sondern um Natur-
wolle handelt. Die Wolle, die als Kunstwolle in den Handel kommt, war nur schon
einmal zu einem Verbrauchsgegenstand verarbeitet und hat natürlich dabei hinsichtlich
der Haltbarkeit und Güte mehr oder weniger gelitten. Gute Kunstwolle, z. B. solche
aus feinen Kammgarnstoffen und Trikotagen gewonnene, stellt unter Umständen ein
wertvolleres Produkt als schlecht gezüchtete Schurwolle dar. Die Kunstwollfabrikation
ist wesentlich durch die Karbonisation, durch die alle pflanzlichen BVerunreinigungen,
z. B. Baumwollfäden, beseitigt werden, vervollkommnet worden. Dadurch ist es z. B.
jetzt auch möglich, halbwollene Lumpen zu Kunstwollfabrikation zu verwenden. Sonstige
Errungenschaften in der Wollspinnerei sind vielfach zu verzeichnen. In der Wollwäscherei
haben die Gewinnung des Schweißes, aus dem Pottasche hergestellt wird, und die Ge-
winnung von Fett aus den Abwässern an Bedeutung zugenommen, nachdem man
die Gewinnungsmethoden verbessert hat. Das Trocknen und Färben der gewaschenen
Wolle geschieht heute ausschließlich durch maschinelle Einrichtungen, auf welchem Gebiete
deutsche Erfinder hervorragend tätig gewesen sind. Beim Färben wird gerade um-
gekehrt wie früher gearbeitet. Während die Wolle früher in der Flotte bewegt wurde,
wird jetzt die Flotte durch sie hindurch getrieben und zwar meistens im Wechselstrom.
Dadurch wird das Material geschont, denn das gefürchtete Filzen der losen Wolle wird
vermieden. Das Karbonisieren der Wolle, daß wie bei der Kunstwollfabrikation zur
Beseitigung pflanzlicher BVerunreinigungen, z. B. Kletten und Stroh, vorgenommen
wird, hat sich immer mehr eingebürgert, nachdem die Arbeitsmethoden so geändert
worden sind, daß die Wolle beim Säuren und Trocknen nicht mehr angegriffen wird.
Hinsichtlich des Baues der Krempel- und Spinnmaschinen kann man behaupten, daß
die deutschen Erbauer ihre englischen Lehrmeister weit überholt haben. Während vor
25 Jahren englische Spinnereimaschinen in großen Mengen eingeführt wurden, ist es
heute nicht mehr erstaunlich, daß deutsche Fabrikate nach England wandern. Die Ent-
wickelung des deutschen Spinnereimaschinenbaues stellt ein Kuhmesblatt in der Ge-
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