VI. Buch. Textilindustrie. 163
dem die Spinnereiabteilung der höheren Fachschule für Textilindustrie in Krefelb seit
geraumer Zeit Gelegenheit bietet, gründliche Kenntnisse auf diesem Gebiete zu erwerben.
Bisher wird die Florettspinnerei nur in wenigen Fabriken Badens und des Elsasses
betrieben. Im Zahre 1910 wurde aus dem Auslande — namentlich der Schweiz —
für 34 Millionen Florettseide bezogen.
Biel wichtiger ist natürlich die Beschaffung des Rohmaterials für die ge-
samte Industrie. Von den vier Hauptmaterialien können in Deutschland nur Flachs
und Wolle gewonnen werden. Früher geschah dies in beträchtlichem Umfange, leider
ist dies heute anders. Während im Zahre 1878 noch rund 134 000 ha mit Flachs bestellt
wurden, waren es im Jahre 1910 nur noch 10 000—20 000 ha. Während es in den
60er Jahren noch 28 Millionen Schafe gab, waren es im Zahre 1907 nur noch 8 Millionen.
Beim Flachs sind wir heute hauptsächlich auf Rußland angewiesen, das ¾ unseres
Bedarfs deckt und bei der Wolle auf Australien und Argentinien, die beinahe ¾ unseres
Bedarfs aufbringen. Große Hoffnungen werden auf unsere Kolonien gesetzt. Klima
und Bodenverhältnisse sind für den Anbau der Baumwolle und für die Schafzucht
geeignet. Mit dem Baumwollbau hat man dank der Tätigkeit des 1896 gegründeten
kolonialwirtschaftlichen Komitees in Berlin schon vor längerer Zeit begonnen, zuerst
in Togo, später in Ostafrika und schließlich in Kamerun. Der Wert der Ernte, der im
gahre 1905 44 000 M. betrug, ist im JZahre 1912 auf 2 615 000 M. gestiegen. Mit der
Wollzucht ist in UDeinem Umfange in Neu-Guinea und Ostafrika, und in größerem Um-
fange in Südwestafrika der Anfang gemacht worden. Der Wert der gewonnenen Wolle
betrug im Zahre 1908 19 000 und im JZahre 1912 149 000 M. Ein deutsches Wollschaf-
zucht-Syndikat hat sich neuerdings die Aufgabe gestellt, 3 Millionen M. für Errichtung
einer Stammschäferei in Südwestafrika aufzubringen. Erwähnt sei noch, daß man in
Ostafrika einen Seidenspinner entdeckt hat, der wild lebt. Mit dem aus den Raupen-
nestern gewonnenen Material sind an der vorgenannten Textilfachschule in Krefeld
Spinnereiversuche gemacht worden, die zur Zufriedenheit ausfielen. Es hat sich eine
Schappe bis zur Feinheitsnummer 300/2fach herstellen lassen, die sich schön färbte und
ohne Schwierigkeit verwebt wurde.
Für den Flachsbausind unsere Kolonien ungeeignet. Will man sich hier vom Aus-
lande unabhängig machen, so muß die Kultur desselben wieder in größerem Umfange
im Mutterlande betrieben werden. Versuche sind neuerdings wieder aufgenommen
worden. Es hat sich ergeben, daß sich der Anbau unter Umständen lohnt. Schwierig-
keiten macht hauptsächlich die Zubereitung des geernteten Flachses, namentlich das
KRösten. Die Spinner wollen diese Arbeit nicht übernehmen und die Landwirte haben
heute keine Erfahrung mehr auf diesem Gebiete. Das Rösten ist auch dadurch erschwert,
daß in Rücksicht auf die Fischzucht in fließenden Gewässern nicht mehr geröstet werden
darf. Die Tauröste geht zu langsam und die Röste in stehendem Wasser liefert zu ungleiches
Material. Die bisher vorgeschlagenen künstlichen Röstverfahren haben versagt. Es bleibt
daher nur die Warmwasserröste übrig, die aber nur im großen von Vorteil ist. Vorläufig
können daher nur solche Landwirte den Flachsbau aufnehmen, die in der Lage sind,
große Flächen anzubauen und eine eigene Röstanstalt zu begründen. Der Zusammen-
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